Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

186 Großbritannien. (Mai 27.—Juni 3.) 
Bei der Verleihung des Ehrenbürgerrechtes von Edinburg äußert 
sich Premierminister Lloyd George in herkömmlicher Weise über die Lage, 
insbesondere über die beiden „widrigen Umstände“, mit denen die Regierung, 
seit er an ihrer Spitze steht, zu kämpfen gehabt habe: den Zusammenbruch 
Rußlands und den unbeschränkten U. Bootkrieg. Dieser sei eine große Gefahr 
für England gewesen, aber seit dem Beginn des Jahres sei der Admiral- 
stab überzeugt, daß die Flotten der Verbündeten mehr feindliche U. Boote 
versenkten, als der Feind bauen könne. Der Kampf im Westen sei jetzt zu 
einem Wettrennen zwischen Hindenburg und Wilson geworden. Darum 
müsse alles geschehen, um die moralische Entschlossenheit und die Einheit 
der Nation zu festigen. Indem wir uns, fährt L. G. fort, der vielleicht 
entscheidenden Schlacht des Krieges nähern, ermutigt es und spornt es an, 
zu wissen, daß wir es mit tapferem Herzen und gutem Gewissen tun. Hätte 
ich geglaubt, daß wir mit sichern und ehrenhaften Mitteln diesen Krieg von 
Anfang an hätten vermeiden oder ihn früher beenden können, so würde mich 
jetzt Sorge und Schuldgefühl niederdrücken. Es gibt zwei Arten Extremisten 
in jedem Krieg. Der Friedensextremist ist nicht ein wahrer Friedensfreund, 
sondern ein Hindernis für den Frieden, denn er ermutigt den Gegner. 
Der Kriegsextremist sieht jeden Friedensgedanken als einen Verrat gegen 
den Staat an. Der Weg der Weisheit und Sicherheit, den die Regierung 
gehen muß, liegt zwischen den beiden Extremen. Im vergangenen Jahre 
waren bei uns und bei den Alliierten eine große Anzahl Personen, die der 
Ansicht waren, daß es nützlich sein dürfte, ohne Sieg einen ehrenvollen 
Frieden zu schließen. Ich glaube, daß es jetzt wenig solcher Leute gibt, 
denn auf jeden Menschen mit gesundem Verstande hat das Schicksal Ruß- 
lands Eindruck gemacht. Es gibt Leute, welche den Reden der feindlichen 
Staatsmänner viel Vertrauen schenken, und die Stimmen nehmen zu, die 
bei uns und den anderen Ländern fragen, warum antwortet Ihr denn 
nicht? Wir haben geantwortet, und im gleichen Augenblick kam die Rück- 
antwort aus deutschen Geschützen. Warum? Nicht, weil die deutschen und 
österr. Staatsmänner uns absichtlich irreführen wollen, sondern weil sie von 
den deutschen militärischen Führern mißbraucht werden. Wenn diese es für 
ihre Pläne nützlich halten, sind die Staatsmänner nur die Puppen der 
militärischen Führer. Wenn es diesen paßt, erhalten sie die Erlaubnis, 
Friedensballone aufsteigen zu lassen, namentlich, wenn das Angebot für 
die Alliierten günstig ist, um dort die Atmosphäre zu vergiften. Der 
Friedensvertrag von Brest-Litowsk war die vollständigste Entbüllung der 
Funktionen, mit denen die militärische Kaste die Staatsmänner der Zentral- 
mächte beauftragt hat. Wie kann man nur glauben, Freiheit und Sicher- 
heit für die Welt zu gewinnen, ohne die preuß. Kriegsmacht zu brechen? 
(Einen ausführlichen Bericht über die Rede s. „Nordd. Allg. Ztg.“ 1913 
Nr. 263, 264.) 
27. Mai. Besuch des Prinzen von Wales beim Payst. 
30. Mai. (London.) Handelsabkommen mit Schweden. (S. dort.) 
3. Juni. (Irland.) Einführung des Freiwilligensystems. 
„Reuter“ verbreitet den Wortlaut einer Botschaft des Vizekönigs 
von Irland, Lord French, worin die Einführung des Freiwilligenwerbe- 
systems für Irland vorgeschlagen wird. J. soll bis zum 1. Oktober frei- 
willig 50000 Rekruten ausheben und von diesem Zeitpunkt ab monatlich 
2000 bis 3000 Mann beschaffen. Vor allen Dingen sollen die Interessen 
der Landwirtschaft geschont werden, die Altersgrenze wird zunächst auf 
18 bis 27 Jahre festgesetzt, wie dies auch in England, Schottland und
	        
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