Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

192 Greßbritannien. Juni 21.) 
abzuändern. B. erwidert, er begnüge sich damit, im allgemeinen zu sagen, 
daß seiner Ansicht nach diese Verträge kein Hindernis für den Abschluß 
eines vernünftigen Friedens bilden, und daß sie keine Veranlassung zu 
Schwierigkeiten zwischen England und dem italienischen Bundesgenossen 
seien. Er könne sich keine größere Dummheit denken, als formell und 
ostentativ auf eine Revision (reconsideration) der Instrumente einzugehen, 
die die Beziehungen der Alliierten regeln oder drei Jahre hindurch geregelt 
haben. Jetzt, da Rußland weggefallen ist, haben wir die Aufgabe, den 
deutschen und österreichischen Anstrengungen im Westen zu widerstehen und 
alles, was in unserer Macht liegt, zu tun, um Rußland in seinem nationalen 
Selbstbewußtsein wieder herzustellen. Die Tatsache, daß Rußland im Kriege 
nicht mehr mitzählt, hat den übrigen Alliierten eine schwere Bürde aufge— 
laden. Ich glaube, daß wir diese Last aushalten werden. Dies, sagt B., 
sei der allerletzte Augenblick, in dem es wahrscheinlich wäre, daß die Alli- 
ierten den Mittelmächten Vorschläge machen würden, oder, soweit er es be- 
urteilen könne, die Mittelmächte den Alliierten, es sei denn zu dem Zweck 
einer Friedensoffensive. Soweit er sehen könne, beabsichtigten die Mittel- 
mächte folgendes: den Alliierten zusammen unannehmbare Bedingungen 
vorzuschlagen, aber einem bestimmten Mitglied der Alliierten Bedingungen 
zu stellen, die für dieses Mitglied, wenn es nur an seine eigenen Interessen 
dächte und nicht an die Interessen des Ganzen, außerordentlich günstig 
wären. Die Mittelmächte beabsichtigen, auf diese Weise die Mitglieder der 
Allianz voneinander zu treunen. Einige von ihnen würden in isolierter Stellung 
völlig hilflos sein. Sie seien nur durch Einigkeit stark. Er tadle die Mittel- 
mächte nicht, daß sie eine solche Falle legen. Wohl aber würde er die 
tadeln, die in diese Falle hineingingen. Am meisten tadle er seine pazi- 
fistischen Freunde von der Opposition. Wir alle, sagt B., wünschen eine 
gerechte Befriedigung der nationalen Bestrebungen auf der ganzen Welt. 
Wir alle haben den Wunsch, daß die Vereinbarungen auf der Friedenskonferenz, 
sobald es zu einer solchen Konferenz kommt, möglichst wenig von jenen 
ewigen Ursachen zur Reibung und GEifersucht übrig lassen, die die kleinen 
Nationen noch mehr trennen, als die großen. Wir wünschen einen ehren- 
haften Frieden. Aber je mehr die Zeit vorschreitet, desto mehr sind wir 
davon überzeugt, daß dieser Friede nur durch einen Kampf bis zum Ende 
erreicht werden kann, und dadurch, daß wir darauf achten, daß es nicht 
mehr in der Macht einer Nation wie Deutschland liegen darf, eine Wieder- 
holung der Uebel herbeizuführen, unter denen die ganze zivilisierte Gemein- 
schaft der Nationen in der alten und neuen Welt hoffnungslos seufzen muß. 
21. Juni. Lloyd George über die Reichseinheit. 
Gelegentlich eines zu Ehren der Mitglieder der Reichskriegskonferenz 
(s. S. 187) von der Reichsparlament. Vereinigung im Oberhaus veranstal- 
teten Essens hält Premierminister Lloyd George eine Rede, in der er 
zunächst die Bereitwilligkeit lobt, mit der alle Kolonien am Kriege sich be- 
tätigten. Die Gäste seien hiehergekommen, um teilzunehmen an dem großen 
Rat des Reiches, eines Reiches, das den wunderbarsten Verband mensch- 
licher Geschöpfe darstelle, den die Welt je gesehen habe. Die Vertreter von 
400 Millionen Menschen seien zusammengekommen, um über die besten 
Mittel zu beraten, Recht und Gerechtigkeit auf Erden zu befestigen. Nach- 
dem er sodann eingehend die Leistungen Englands während des Weltkrieges 
geschildert hat, fährt er fort: Im vorigen Jahr war Rußland zusammen- 
gebrochen, Amerika war noch nicht zur Stelle, und wenn Deutschland da- 
mals die Meere beherrscht hätte, so würde das Recht unter die Füße ge- 
treten seien und der Despotismus hätte in der ganzen Welt triumphiert.
	        
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