Grehjbritannien. (Okt. 7. 9. 221
Wie „Reuter“ erfährt, werden in gut unterrichteten Kreisen nach sorg—
fältigster Prüfung der Rede des deutschen Kanzlers (s. Tl. 1 S. 325 ff.) und
der Note an Wilson (s. Tl. 1 S. 320) folgende Kommentare gegeben: Es
scheint allgemein angenommen zu werden, daß der neue Kanzler berechtigt
sein mag, für sich in Anspruch zu nehmen, daß er ein Mann von liberalen
Ansichten auch vor diesen Ereignissen war, so wie das Wort liberal in Deutsch-
land verstanden wird. Aber es bleibt noch abzuwarten, ob der Druck der mili-
tärischen Ereignisse genügend groß gewesen ist, um die Masse des deutschen
Volkes zu überreden, dauernd die Partei dieses Liberalismus zu ergreifen,
mit anderen Worten: Hat er die Macht, diese Ansichten allen Teilen des
deutschen Volkes aufzuzwingen, obwohl er selbst zweifellos aufrichtig diese
Ansichten vertritt? Die Bekehrung Deutschlands zu liberalen Ideen, wie
sie in dem Gegensatze zwischen der Reichstagrede des Prinzen Max und
den neulichen Aeußerungen von Payers (s. Tl. 1 S. 281 ff.) gekennzeichnet ist,
hat sehr plötzlich stattgefunden, und es bleibt abzuwarten, ob sie dauernd
sein wird. Der Vergleich zwischen dem Text der Note an Wilson und
der Rede des Prinzen Max weist wichtige Abweichungen auf. Während die
deutsche Note die Botschaft des Präsidenten an den Kongreß v. 8. Jan. und
seine späteren Erklärungen als Grundlage für Friedensverhandlungen an-
nimmt, sagt der Reichskanzler, daß er sich auf den Boden des Mehrheits-
programms stellt, und wenn dieses Programm (s. Tl. 1 S. 317) so ist, wie
es im „Berliner Tageblatt“" mitgeteilt worden ist, so würden die Differenzen
zwischen ihm und dem Programme des Präsidenten Wilson sofort deutlich
werden. Angesichts dieser Verschiedenheit ist die Frage berechtigt: Auf dem
Boden welcher von diesen Erklärungen Deutschland wirklich steht, des inter-
nationalen Dokuments, das an Wilson gerichtet ist, oder der an das deutsche
Volk gerichteten Erklärung im Reichstage. Die Note selbst läßt verschiedene
Auslegungen zu und ist vielleicht absichtlich unbestimmt. Es ist unwahr-
scheinlich, daß Wilson einen Waffenstillstand diskutieren wird. Er hat die
Bedingungen der Uebergabe festgestellt, und es ist nicht wahrscheinlich, daß
er sie ändert oder zurücknimmt. Die Welt ist nicht überzeugt, daß der An-
spruch der Deutschen, eine Regierung zu haben, die für das Volk spricht,
auf Tatsachen beruht, und sie will nicht überzeugt sein, bis das kaiserliche
System öffentlich abgelehnt wird.
7. Okt. Gesamtausfuhrverbot.
„Reuter“ meldet aus London: Eine Verfügung bestimmt, daß die
Gesamtausfuhr aus England nach allen europäischen Ländern, wenn nicht
besondere Beschlüsse vorliegen, verboten ist. Nur die Ausfuhr nach den
verbündeten Ländern ist zugelassen.
9. Okt. Friedensmanifest der engl. Arbeiter.
Die Vertretung der engl. Arbeiterschaft erläßt zur Friedensfrage
folgendes Manifest: Die gemeinsame Versammlung des parlament. Aus-
schusses des Gewerkschaftskongresses und der nationalen Exekutive der
Arbeiterpartei ist der Ansicht, daß das neue Friedensangebot der Re-
gierungen der Zentralmächte (s. Tl. 1 S. 320) eine Lage voller Möglichkeiten
schafft, welche die Alliierten, ihre Völker und die Regierungen, nicht ignorieren
können. Der deutsche Vorschlag wird von einer Regierung gemacht, welche
die Vertreter der Mehrheitsparteien des Reichstages einschließt. Wir sind
daher der Meinung, daß das Angebot einen Anspruch auf vernünftige
Erwägung hat. Wir erkennen offen an, daß eine weitere Klarstellung dieser
Vorschläge absolut notwendig ist, ehe die militärischen Anstrengungen der
Alliierten angehalten werden können. Als unumgängliche Vorbedingung
müssen die Zentralmächte ihre Heere von allen besetzten Gebieten zurück-