Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Vie üsterreithisch-nugarische Menarthie und die Rathhfelgeftaaten. (März 1. 3.) 19 
Großes Aufsehen erregt eine Rede des Hofrats Dr. Lammasch, der 
sich heftig gegen die Annexionspolitiker wendet und dabei u. a. ausführt: 
Selbstverständlich ist es, daß wir bei den Friedensverhandlungen ebenso 
wie während des Krieges unseren Bundesgenossen Treue bewahren müssen. 
Es wäre Undank von uns, unsere Bundesgenossen oder einen unserer Bundes- 
genossen in der Stunde der Gefahr zu verlassen. Aber die Stunde der 
Gefahr ist, Gott sei Dank, für alle unsere Bundesgenossen längst vorbei. 
(Widerspruch.) Redner wolle Triest und Straßburg nicht geradezu in eine 
Parallele stellen. Wie dem auch sei, sind wir verpflichtet, Straßburg zu 
verteidigen und den Besitzstand des Deutschen Reiches zu erhalten. Aber 
daraus folgt nicht, daß wir auch verpflichtet sind, jenen Verfassungszustand, 
der in Elsaß-Lothringen vor dem Kriege bestand, auch weiterhin mit 
unseren Kräften aufrechtzuerhalten. Wenn der Friede möglich sein wird 
unter der Voraussetzung, daß Elsaß-Lothringen ein selbständiger Bundes- 
staat mit allen Rechten eines solchen und mit einer von der Bevölkerung 
freigewählten Verfassung werde, dann ist für uns kein Grund, den Krieg 
deshalb weiter zu führen. damit Elsaß-Lothringen ein Reichsland bleibe 
mit vorwiegend preußischer Verwaltung (lebh. Widerspruch), und es sind 
Anzeichen vorhanden, daß die Gegenseite sich mit jenem Zugeständnis zu- 
friedenstellen würde. Die sog. realen Garantien haben immer nur zu 
Revanchekriegen, zum sog. bewaffneten Frieden geführt. Der sog. Sieg- 
friede wäre nur ein fauler Friede. (Widerspruch.) Es wäre ein Waffenstill- 
stand vor einem noch gewaltigeren und entsetzlicheren Waffengange. Für 
einen solchen Frieden haben die Nationen nicht ihr Herzblut hergegeben. 
Der Lohn, den die Nationen erwarten, ist ein dauernder, gesicherter Friede, 
der nur auf der Versöhnung der Nationen beruhen kann. Es ist das große 
Verdienst unseres Kaisers, daß er als erster das vom Papste ausgesprochene 
Prinzip des Verständigungsfriedens akzeptiert hat. Die letzte Rede des 
Grafen Hertling bedeutet allerdings einen sehr großen Fortschritt in der 
Richtung des Friedens, ebenso wie die letzte Rede Wilsons. Weist man das 
Anerbieten Amerikas im gegenwärtigen Zeitpunkte ab, so wird der Krieg 
noch jahrelang dauern. Drüben ist es Amerika, das allein den Frieden 
machen kann, hier ist es Oesterreich-Ungarn, unter der Führung unseres 
Kaisers, dem alle Völker Vertrauen und Hochachtung entgegenbringen. — 
Die Ausführungen über Elsaß-Lothringen werden von Fürst Schönburg 
im Namen der Mittelpartei und von Frhr. v. Plener im Namen der Ver- 
fassungspartei mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen. 
1. März. Ankündigung einer Verfassungsreform. 
Unter dem Vorsitz des Präsidenten des österr. Abg.-Hauses findet eine 
Besprechung von Abg. sämtlicher Parteien statt. Ministerpräsident Dr. v. 
Seidler erklärt, die Regierung sei bereit, Mittel und Wege zu finden, um 
ein Einvernehmen mit den Parteien zu erzielen behufs Flottmachung des 
Parlamentes. Der Weg dazu scheine der Regierung durch eine Verfassungs- 
reform gegeben. Der Ministervräsident überlasse den Parteien die Ent- 
scheidung der Vorfrage, vor welchem Forum sich dic Verhandlungen hier- 
über abspielen sollten. Nach Lösung dieser Vorfragen sei der Minister- 
präsident bereit, Leitsätze zur Verfassungsreform vorzulegen. Die Konferenz 
einigt sich dahin, über die Vorschläge des Ministerpräsidenten zu berichten. 
3. März. Friedensschluß des Vierbundes mit Rußland in Brest- 
Litowsk. 
Näh. s. in dem besonderen Abschnitt am Schluß des Kalendariums. — 
Am 4. wird das Protokoll über die poln.= ukr. Grenze zwischen den 
Vertretern des Vierbundes und der Ukraine unterzeichnet (s. ebendort). 
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