frankreich. (Sept. 19.) 273
heimischen Herdes forderte. Was sie waren, was sie sind und was sie ge-
leistet haben, das wird die Geschichte sagen. Wir wußten es im voraus.
Aber erst seit gestern beginnt das bestürzte Deutschland zu begreifen, was
für Menschen es vor sich hat. Albernerweise hat es geglaubt, der Sieg würde
alles vergessen lassen. Unsere verwüsteten Felder, unsere durch Minen und
Brand vernichteten und planmäßig geplünderten Städte und Dörfer, die
raffinierte Mißhandlung, alle Gewalttätigkeiten der Vergan Kheit, die mit der
abscheulichen Lust eines betrunkenen Wilden wieder lebendig gemacht wurden,
Wegführung von Männern, Frauen und Kindern in die Sklaverei — das
ist, was die Welt gesehen hat und was sie nicht vergessen wird. Nein! Kein
Sieg hätte so viele Verbrechen vergessen lassen können. Aber dann ist der
angekündigte Sieg gar nicht gekommen, und die furchtbarste Rechnung von
Volk zu Volk hat sich ausfgemacht und wird bezahlt werden. Denn nach
vier Jahren eines undankbaren Ruhmes hat ein — nicht für uns — un-
erwarteter Glückswechsel den großen Rückzug der Heere des Kaisers vor den
Völkern des freien Gewissens herbeigeführt. Ja, der seit mehr als einem
Jahrhundert von unserer Nationalhymne angekündigte Tag ist wirklich ge-
kommen. Die Söhne sind im Zug, das von ihren Bätern begonnene ge-
waltige Werk zu vollenden. Frankreich ist nicht mehr allein bei dem Werk
der Gerechtigkeit durch die Waffen. Gemäß dem Worte unseres großen
Denkers sind es all die Brudervölker, die den letzten Sieg der höchsten
Menschlichkeit vollenden werden. Wer könnte auch nur im Traum eine
schönere Zeit erlebt haben. Die Bürger und die Soldaten, die Regierungen
und die Volksvertretungen der Entente, alle erfüllten ihre Pflicht und werden
dabei bleiben, bis sie vollendet ist. Alle sind würdig des Sieges, weil sie
ihn zu ehren wissen werden. Und trotzdem würden wir in diesen Kreisen,
wo die Alten der Republik sitzen, uns selbst untreu werden, wenn wir ver-
gäßen, daß der reinste Sieg diesen prächtigen Poilus gebührt, die von der
Geschichte die Adelsbriefe bestätigt sehen werden, die sie sich selbst aus-
gestellt haben. Sie fordern in dieser Stunde nichts als das Recht, das Werk
zu vollenden, das ihnen die Unsterblichkeit sichern wird. Was wollen unsere
herrlichen Krieger, was wollen wir selbst? Immer und immer wieder sieg-
reich kämpfen bis zu der Stunde, wo der Feind begreifen wird, daß es
keine Verständigung zwischen dem Verbrechen und dem Recht geben kann.
Ich hörte sagen, der Friede könne nicht durch eine militärische Entscheidung
herbeigeführt werden. So hat der Deutsche nicht gesprochen, als er den
Krieg mit seinen Schrecken in dem friedlichen Europa entfesselte und als
gestern noch seine Führer Völker wie Vieh verteilten und uns mit einer
Zertrümmerung bedrohten und sie in Rußland auch zur Ausführung brachten,
die die Welt zur Machtlosigkeit unter einem eisernen Gesetz verurteilt hätte.
Militärische Entscheidung! Deutschland wollte sie und hat uns genötigt, sie
zu verfolgen. Mag es denn sein, wie Deutschland es gewollt hat, wie
Deutschland es getan hat. Wir suchen nur Frieden, aber wir wollen nur
einen gerechten und dauerhaften Frieden, damit die, die nach uns kommen,
sicher seien vor den Schrecken der Vergangenheit. Auf also, Kinder des
Vaterlandes, auf, vollendet die Befreiung der Völker von den letzten Schrecken
unreiner Feinde! Auf zum fleckenlosen Sieg! Ganz Frankreich, die ganze
denkende Menschheit ist mit Euch. — Der Senat beschließt den öffentlichen
Anschlag der beiden Reden.
19. Sept. Beantwortung der ö.-u. Friedensnote. (Näh. s. S. 60.)
19. Sept. „Gelbbuch“ über die Beziehungen zu Rußland.
Die Regierung verteilt im Parlament ein „Gelbbuch“ mit 107 Akten-
stücken aus den Jahren 1891—1912 über die russisch-franz. Allianz.
Europäischer Geschichtskalender. LIX# 18