Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

324 Italien. (Dez. 15.) 
beschlossen, in eine große Werbetätigkeit einzutreten, wobei die Errichtung 
der Republik die erste Rolle spielen soll. Weiter will man mit allen Mitteln 
dahin streben, daß auf dem Friedenskongreß die Grundsätze Wilsons als 
Grundlage für den Völkerfrieden angenommen werden. 
15. Dez. Neues Unterstaatssekretariat. 
Durch Regierungsdekret werden die Generalkommissariate für Waffen 
und Munition und für Luftschiffahrt aufgehoben und die Befugnisse dieser 
Kommissariate dem Schatzministerium übertragen. Zu diesem Zweck wird 
ein neues Unterstaatssekretariat im Schatzministerium geschaffen 
und zu seinem Leiter der Industrieingenieur Ettore Corti ernannt. 
15. Dez. (Senat.) Budgetprov., allgem. politische Lage. 
Bei der Beratung des Budgetprovisoriums (s. S. 323) äußert sich Schatz- 
minister Nitti eingehend über die Finanzlage. — Sodann hält Senator 
Tittoni eine Rede über die Kriegsziele Italiens. Italien erwarte den 
Siegespreis nicht ohne Sorgen und Unsicherheit. Für seine Wirtschaft sei 
es notwendig, daß in dem Friedensvertrag auch die Beziehungen auf dem 
Weltmarkt gesichert würden. Die Rückgabe der ital. Sprachgebiete bilde 
bloß eine Frage der Gerechtigkeit, die Vorherrschaft in der Adria eine Frage 
der Sicherung. Der Besitz von Pola und Valona habe ihm die Vorherr- 
schaft unter der Bedingung zu sichern, daß die Möglichkeit einer Sperrung 
des Kanals von Otranto verbürgt werde. Diese Sicherung sei aber nur zu 
erreichen, wenn der Kanal neutralisiert würde. Die ital. Interessen im 
östlichen Mittelmeer seien von größter Bedeutung. Wenn andere Mächte 
Landstücke oder Einflußbezirke in Kleinasien erhielten, beanspruche auch Italien 
solche. Für Ostasien und die afrikanischen Kolonien erwarte es das gleiche wie 
für Kleinasien. Hinsichtlich der Handelsbeziehungen sollten die auf der Pariser 
Wirtschaftskonferenz ausgesprochenen Verheißungen durch den Friedens- 
vertrag verwirklicht werden. Sollte England die deutschen Kolonien in Afrika 
bekommen, dann müßte Italien angemessene Vergütungen durch Erweiterung 
seiner afrik. Kolonien erhalten. 
Ministerpräsident Orlando führt in Beantwortung der Ausführungen 
verschiedener Redner u. a. aus: Italien kann nicht demobilisieren. Es muß 
seine Streitkräfte intakt halten wegen der Schwierigkeiten, die unmittelbar 
auf den Krieg folgen werden. Was die internationalen Fragen betrifft, so 
ist es unmöglich, in Einzelheiten einzutreten. Es ist nicht an der Zeit, das- 
jenige bekanntzugeben, was man im einzelnen noch besprechen will. Die 
Ansprüche Italiens sind den Fragen allgemeinen Charakters untergeordnet, 
deren Lösung der Friedenskonferenz zusteht. Die Grundsätze Wilsons werden 
bei der Regelung maßgebend sein. Wir werden diesen Prinzipien treu 
bleiben. Ich kann jedoch nicht sagen, bis zu welchem Punkte wir dies sein 
werden. Denn in der Praxis können die Grundsätze auf Hindernisse stoßen, 
die der Verwirklichung entgegenstehen. Eines der Postulate Wilsons schließt 
die Kriegsentschädigung aus. Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, 
daß Italien in der Frage der Kriegsentschädigungen sich gleich verhalten 
wird wie die anderen alliierten Nationen. O. glaubt, daß die Auflösung 
eines feindlichen Staates keinen hinreichenden Grund dafür bildet, die Schuld, 
die er zu zahlen hat, zu bestreiten. Wohl könnten einige Staaten, die aus 
der Auflösung Oesterreich-Ungarns entstanden, einen Rechtstitel vorweisen, 
der ihren Beitrag zum Siege der Alliierten bekundet und der sie von der 
Leistung einer Entschädigung enthebt. O. berichtet, daß die Regierung in 
hohem Maße den zeitgemäßen Weisungen Rechnung tragen werde, die von 
Tittoni über die Frage der Kriegsentschädigung, der Reorganisation der 
Küste des östlichen Mittelmeeres und der Kolonien vorgebracht worden sind.
	        
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