Belzien. (April 9.—Juni 20.) 347
Oeffentlichkeit festgestellt werden, daß die deutsche Verwaltung in Belgien
gezwungen wurde, deutsche Gerichte in Belgien einzurichten. Sie mußte
dies veranlassen in Erfüllung der ihr durch Art. 43 der Haager Konvention
gesetzten Aufgabe, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, da die belg.
Gerichte unter Außerachtlassung der Interessen des belg. Volkes ihre Tätig-
keit eingestellt und dadurch jede Rechtssicherheit im bürgerlichen Leben auf-
gehoben haben. Die deutsche Verwaltung konnte natürlich einen solchen
Zustand auf die Dauer nicht dulden und hat deshalb, nachdem sie über
dreieinhalb Jahre die belg. Gerichte in völliger Unabhängigkeit hat arbeiten
lassen, die Interessen des besetzten Landes durch Einsetzung deutscher Ge-
richte wahren müssen.
9. April. Einführung der Sozialversicherung.
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ teilt mit, daß durch den Generalgouverneur
in Belgien Verordnungen über die obligatorische Kranken-, Invaliden- und
Altersversicherung von Arbeitern und Angestellten in Flandern und Wallonien
erlassen und veröffentlicht worden sind. — Die Versicherung stützt sich in
der Hauptsache auf eine vor dem Kriege in der belg. Kammer einstimmig
angenommene Vorlage.
26. April. Deutsch-belg. Gefangenenabkommen. (S. S. 332.)
3. Juni. (Havre.) Wechsel im Ministerpräsidium.
Ministerpräsident Charles de Broqueville (seit 1911) tritt zurück.
Die Leitung der Geschäfte wird vom König dem ehem. Präsidenten der Ab-
geordnetenkammer G. Cooreman übertragen, der auch das Portefeuille für
wirtschaftliche Angelegenheiten übernimmt. Diesem Ministerium werden
auch die Angelegenheiten des von de Broqueville eingerichteten und jetzt
wieder ausfgehobenen Ministeriums für den nationalen Wiederaufbau an-
geschlossen. De Broqueville wird zum Staatsminister ernannt. Cooreman
gilt als ein gemäßigter Klerikaler.
Ueber die Gründe des Ministerwechsels verbreitet „Havas“ aus Havre
folgende (unklare) halbamtliche Mitteilung: Die Demission des Minister-
präsidenten wurde durch keinerlei Meinungsverschiedenheit in den Fragen
der inneren oder äußeren Politik hervorgerufen, sondern ist das Ergebnis
ewisser Verschiedenheiten der Ansichten bezüglich der Regierungsmethoden.
uch Cooreman erklärt (am 30. Juni) einem Pressevertreter, die Politik
der belg. Regierung werde genau in den Richtlinien der Politik de B.s fort-
esetzt werden. — Die anfänglich von einem Teil der deutschen Presse ge-
begee Vermutung, daß der Abgang de B.s und seine Ersetzung durch den
gemähßigten Altbelgier B. eine Aenderung in der belg. Wirtschafts- und
ationalitätenpolitik zur Folge haben werden, bestätigt sich nicht. Die meiste
Wahrscheinlichkeit hat, daß der Rücktritt de B.s auf Unstimmigkeiten mit
seinen Ministerkollegen, die mit seinem selbstherrlichen Auftreten vielfach
unzufrieden waren, zurückzuführen ist.
20. Juni. Kundgebung des Rats von Flandern.
Der Rat von Flandern beschließt in einer Vollversammlung ein-
stimmig eine Kundgebung (s. „Nordd. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 317), die an
die Zuscherung des deutschen Reichskanzlers v. 3. März 1917 (s. Gesch Kal.
1917 Tl. 1 S. 239 f.) und an die Selbständigkeitserklärung Flanderns v.
22. Dez. 1917 (s. Gesch Kal. 1917 Tl. 2 S. 579) erinnert und erneut den
Wünschen des flämischen Volkes auf Verwirklichung seiner nationalen Selb-
ständigkeit Ausdruck gibt. Der Schluß der Kundgebung lautet: Wirtschaft-
lich, politisch und strategisch an der Schwelle Deutschlands gelegen, weiß
Flandern, daß seine Selbständigkeit eine reale Sicherung Deutschlands ist,