Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

350 Belgien. (Sept. 19.) 
Hierzu bemerkt das „WTB.“: Zutreffend ist an der obigen Darstellung 
nur, daß die belg. Regierung von der deutschen keinen formellen Vorschlag 
erhalten hat. 
Weiter teilt die „Köln. Ztg.“ in einem halbamtlichen Berliner Ar- 
tikel v. 20. Sept. zu dieser Angelegenheit mit: In den letzten Tagen ist von 
einem Schritt des bayr. Reichsrats Graf Törring bei der belg. Regierung 
die Rede gewesen. Im Anschluß an unfre Feststellung, daß die deutsche 
Regierung keinerlei Friedensschritte bei der belg. Regierung unternommen 
hat, sei darauf hingewiesen, daß selbstverständlich auch der Schritt des 
Grafen Törring bei der belg. Regierung keinerlei offiziellen Charakter ge- 
tragen hat und als reine private Angelegenheit zu betrachten ist. Graf 
Törring ist mit der belg. Königsfamilie verschwägert und hat aus der 
Ueberzeugung heraus, daß Belgien das stärkste Interesse an der baldigen 
Herbeiführung eines Friedensschlusses hat, einen dahingehenden privaten 
Versuch bei der belg. Regierung unternommen. 
Ferner meldet die „Neue Korrespondenz“ (am 19.) aus Paris: Wie 
der „Temps“ berichtet, habe der bayer. Graf Törring in der letzten Zeit 
bei der belg. Gesandtschaft in der Schweiz dringliche Schritte unternommen, 
um Belgien zu einem Sonderfrieden zu veranlassen. Da Törring nicht 
der deutschen Diplomatie angehört, so wäre für seine Schritte die deutsche 
Regierung in keiner Weise verpflichtet. Törring habe der belg. Regierung 
eine Reihe Fragen stellen lassen, auf welche diese klugerweise jedoch nicht 
antwortete. Nach einer Unterredung mit dem Reichskanzler habe sich Graf 
Törring entschlossen, seine Vorschläge zu einem Sonderfrieden schriftlich 
vorzulegen. Es seien dies die Vorschläge vom 23. August, welche die belg. 
Regierung in loyaler Weise den Verbündeten mitgeteilt habe. 
Nähere Auschüäfe über diese Friedensvermittlungsaktion des 
Grafen Törring haben wir erst durch Mitteilungen des „Journal de 
Genove“ erhalten (s. den Bericht in der „Bayer. Staatsztg.“ [Nr. 200) v. 
15. Aug. 1919). Darnach hatte Graf Törring nach einer Vorbesprechung mit 
dem Reichskanzler, der die von T. geplante Fühlungnahme billigte, aber 
ihm vertraulich mitteilte, daß er ihm bezüglich der belg. Frage kein genaues 
Programm mitgeben könne, am 20. März in Bern eine Zusammen- 
kunft mit dem dortigen belg. Gesandten, bei welcher letzterer irgend- 
eine Stellungnahme ablehnte. ç 
Am 30. Juni ließ hierauf die belg. Regierung dem Grafen Törring 
folgende Erklärung zugehen mit der Bitte, sie dem Reichskanzler Grafen 
Hertling zu übermitteln: „Belgien hat den Krieg nicht gewollt. Widerrecht- 
lich angegriffen, hat es ihn auf sich genommen zur Verteidigung seiner Ehre 
und seiner Unabhängigkeit. Zu wiederholten Malen hat die belg. Regierung 
klar und ehrlich die Bedingungen eines gerechten Friedens formuliert, so- 
weit er Belgien betrifft. Sie hat diese Bedingungen mit besonderer Genauig- 
keit in ihrer v. 24. Dez. datierten Antwort auf die Note des Papstes v. 1. Aug. 
1917 festgelegt. Der Eindruck, den die in der Rede des Reichskanzlers v. 
25. Febr. 1918 geäußerten Absichten in bezug auf Belgien erweckt haben, 
hat der belg. Regierung nicht gestattet, andere Erklärungen abzugeben, als 
jene, worin der Minister des Aeußern sich darauf beschränkt, die in der 
päpstlichen Note formulierten Forderungen zu wiederholen. Es liegt jetzt 
an der deutschen Regierung sich zu erklären. Die belg. Regierung könnte 
antworten, wenn von deutscher Seite autorisierte Erklärungen abgegeben 
würden, die ihr erlaubten, zu sprechen, ohne dadurch die nationale Zukunft 
zu gefährden, für die sich das belg. Volk geopfert hat.“ 
Graf Törring seinerseits übergab am selben Tage dem belg. Ge- 
sandten folgende Mitteilungen: „Der belg. Gesandte wird gebeten, seine Re- 
  
 
	        
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