Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

364 Kiederlande. (März 20.) 
aber später davon zurückgekommen und hat mit besonderer Rücksicht auf 
die Volksernährung die Forderungen angenommen, nachdem Deutschland 
ablehnend, wenn auch wohlwollend, geantwortet hatte. Die Regierung muß 
die Verantwortung für ihren Entschluß allein tragen und kann sie nicht 
mit der Kammer teilen. Ich hätte allerdings den gefaßten Beschluß der 
Kammer in geschlossener Sitzung oder den Parteiführern mitteilen sollen. 
In der Zukunft wird das geschehen. Dann gibt L. eine ausführliche Ueber- 
sicht über den Verlauf der Verhandlungen, die erst in Amerika, dann in 
London geführt wurden, und sagt weiterhin: An dem Tage, wo wir die 
endgültige Abmachung annehmen sollten, kam die Forderung, daß auf Grund 
der veränderten Lage in der Schiffahrt auch das gefährliche Gebiet befahren 
werden müßte. Gleichzeitig gingen uns Berichte zu, daß die Assoziierten bei 
Abweisung dieser Forderung alle Schiffe innerhalb ihres Machtbereiches 
— das sind rund eine Million Tonnen — einfach wegnehmen würden. Ich 
sage nicht: requirieren, weil man aus diesem Wort herauslesen könnte, daß 
es sich um etwas Rechtmäßiges handle. Der Zwang, der Versuch, uns Furcht 
einzujagen, hat die Regierung sehr gekränkt, aber aus wirtschaftlichen und 
politischen Gründen mußte sie zu dem gefaßten Beschluß kommen. Die 
Frage der Kohlenlieferung durch Deutschland wurde schon im Februar mit 
dem deutschen Gesandten im Haag besprochen, später in Berlin. Die Re- 
gierung gründete ihre Forderung auf ihre Berechnung der zu erwartenden 
Anfuhr aus Amerika. Die deutsche Regierung antwortete mit der größten 
Bestimmtheit, sie könne keine Zusage machen, weder für die Lieferung binnen 
zweier Monate noch für später. Daraufhin verlangte ich von den Assoziierten 
die Lieferung von 400000 To. Getreide, davon 100000 To. bis 15. April. 
Das souveräne Recht Amerikas, uns zu liefern oder nicht zu liefern, verkenne 
ich nicht; aber deshalb billige ich noch nicht die uns für die Ausfuhr gestellten 
Bedingungen. Sie waren kränkend, und die Regierung hat nicht verfehlt, das 
der Washingtoner Regierung mitzuteilen. Von einer Absicht der engl. Re- 
gierung, uns zu zwingen, gegen Deutschland Stellung zu nehmen, ist mir nichts 
bekannt. Ich brauche nicht zu sagen, daß eine solche Absicht bei der holl. Re- 
gierung keine Zustimmung finden würde. Herrn Troelstra, der gestern die Be- 
fürchtung geäußert hat, wir seien von der Neutralität abgewichen, erwidere ich: 
Wie kränkend die Forderungen auch sind, mit der Neutralität ist ihre Bewilli- 
gung nicht im Streit, solange die Schiffe keinen Etappendienst tun im Sperr- 
gebiet. Die niederl. Regierung denkt keinen Augenblick daran, ihre neutrale 
Haltung aufzugeben. Die Not in den Kolonien liegt der Regierung nicht 
weniger am Herzen als die Sorge um unsere Volksernährung. Ich muß 
mich dagegen wenden, daß unsere Seele in Holland, unsere Interessen in 
Indien lägen. Das ist unrichtig. Unsere Ideale sind zusammengefügt und 
nicht voneinander zu trennen. Für die Erhaltung unserer Kolonien wären. 
wir zu großen Opfern bereit. Die Regierung ist überzeugt, ihre Pflicht 
getan zu haben trotz der scharfen Kritik. Wir haben kränkende Forderungen 
unter einschränkenden Bedingungen angenommen. Wir gehen keinen Schritt 
weiter, keinen Daumen breit, keinen Strich. — Schließlich wird die Aus- 
sprache mit einem Dank an den Minister geschlossen. 
Der Amsterdamer Vertreter des „WTB.“" erfährt aus Haager par- 
lamentarischen Kreisen, daß auf Grund der Loudonschen Rede ein Ein- 
vernehmen darüber herrscht, daß die in Holland befindlichen holl. Schiffe 
durch das Ultimatum der Entente unberührt bleiben. 
20. März. Präsident Wilson verfügt die Beschlagnahme der in 
den Häfen der Ver. St. liegenden holl. Schiffe. (S. Ver. St.) 
Am 22. werden auch die in engl. Häfenliegenden holl. Schiffe beschlagnahmt.
	        
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