Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Rußland. (Jan. 26.—28.) 413 
26. Jan. Georg Tschitscherin wird zum Gehilfen des Volks- 
kommissars für Ausw. Angelegenheiten ernannt. 
27. Jan. Aufhebung des engl.-russ. Abkommens über Persien. 
Trotzki richtet an den persischen Gesandten in Petersburg ein 
Schreiben, worin es heißt: In voller Uebereinstimmung mit den Grund- 
sätzen der internationalen Politik, wie sie am 25. Okt./8. Nov. 1917 von 
der zweiten Versammlung der Räte Allrußlands gebilligt wurden, erklärt 
der Rat der Volkskommissare das engl.-russ. Abkommen v. 1907, als gegen 
die Freiheit und Unabhängigkeit des pers. Volkes gerichtet, für immer für 
ungültig. Ebenso werden außer Kraft gesetzt und für null und nichtig 
erklärt alle Verträge, die, vor oder nach dem erwähnten Abkommen ab- 
geschlossen, in irgendeiner Hinsicht das pers. Volk in seiner Freiheit oder 
Unabhängigkeit einschränken oder vergewaltigen. Die Regierung der Räte 
trifft alle Maßnahmen, um Persien von den früheren Agenten des Zarismus 
und der bürgerlichen Bourgeoisie zu säubern, die in der gleichen Weise 
Feinde des pers. und des russ. Volkes sind. Auf dem Gebiete der internat. 
Beziehungen wird die Regierung ihr möglichstes tun, um die völlige Räumung 
Persiens auch von türk. und engl. Truppen durchzusetzen. 
28. Jan. Abbruch der Beziehungen zu Rumänien. 
Der rum. Gesandte in Petersburg erhält von der Räteregierung Befehl, 
Rußland binnen 10 Stunden zu verlassen. Als Grund für den Bruch be- 
zeichnet ein Petersburger Funkspruch „die Verbrechen der rumän. Militär- 
und Zivilgewalt“, die angeblich in Beßarabien an den russ. revolutionären 
Truppen begangen wurden. (S. auch 15. Jan.) Gleichzeitig teilt der Funk- 
spruch mit, daß der Rat der Volkskommissare die Eröffnung der Kriegs- 
handlungen verfügt und alle diplomatischen Beziehungen mit Rumänien als 
abgebrochen erklärt hat. 
Nach einem von „Reuter“ verbreiteten offiziellen rum. Telegramm aus 
Jassy v. 2. Febr. ersuchte die Republik Beßarabien die rum. Regierung 
um Truppen, um einer Verwüstung des Landes durch die max. Rote Garde 
zuvorzukommen. Die rum. Regierung ließ daraufhin die Eisenbahn Kischinew— 
Ungeny — Jassy besetzen, außerdem Bolgrad, Reni und andere Vorratszentren. 
28. Jan. Der Rat der Volkskommissare erklärt Gold als 
Staatsmonopol. 
W. Jan. (Livland, Estland.) Selbständigkeitserklärung, Hilfe- 
gesuch an Deutschland. 
Eine Abordnung der Ritterschaft Livlands und Estlands überreicht 
dem Vertreter der Bolschewiki-Regierung in Stockholm Worowski eine Kund- 
gebung, in der mitgeteilt wird, daß die Ritterschaft von Livland und 
Estland, die die verfassungsmäßige Vertretung des Landes bilde, hiermit 
bekanntgibt, daß Livland und Estland selbständig sind und in ihr Recht 
eintreten, mit anderen Ländern Abkommen jeder Art zu treffen. Zum Schluß 
heißt es: Die wiederholten Uebergriffe der gestürzten Selbstherrschermacht 
und die zahlreichen Uebergriffe gegen die Gesetze des Landes, die von der 
republik. Regierung Rußlands zugelassen wurden, haben das Land in eine 
verzweifelte Lage gebracht und ihm die Möglichkeit genommen, sein staatliches 
Dasein zu festigen. Die Vertreter des Landes sind somit gezwungen, sich 
nach Schutz außerhalb der Landesgrenzen umzusehen und dort Garantien 
für Gesetz und Recht zu suchen. Daher hat die Ritterschaft von Livland 
und Estland beschlossen, das Deutsche Reich um Schutz zu bitten. Sie will
	        
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