464 Kußland. (Sept. 4. 10.)
am Nördlichen Eismeer von der norweg. Grenze bis Alexandrowsk mit Kola
und Solowka umfaßt, und die dann längs der Murmanbahn zum Onegasee
und Ladogasee verläuft, wo sie die bisherige Grenzführung erreicht. Die
feindliche Regierung begründe diese Ansprüche, die auf eine nicht unerhebliche
Gebietserweiterung hinauslaufen, damit, daß sie einen Anspruch auf Kriegs-
beute habe, weil zwischen Rußland und Finnland der Kriegszustand be-
standen habe, was die Räteregierung bekanntlich bestreitet. — Volkskommissar
Kamenew führt zur Verteidigung der Zusatzverträge aus: Von einer Seite
versucht der engl.-franz. Imperialismus uns zu ersticken, von der anderen
der deutsche. Es wäre üäußerst naiv zu denken, daß man diese Lage auf
eine andere Weise ändern könnte, als wie wir es getan haben. Mit der
Unterzeichnung des Brester Friedens haben wir einen ganz bestimten Weg
eingeschlagen, den wir die „Atempause“ nennen, und der darin besteht, daß
wir uns nicht in den Kampf werfen, solange wir nicht vom Sieg überzeugt,
solange wir nicht stark genug sind. Dem engl.-franz. Kapital treten wir be-
waffnet entgegen, weil wir keinen anderen Ausweg sehen. Wenn wir aber
auf der anderen Front einem bewaffneten Kampf ausweichen können,
wenn wir den Zusammenstoß des sozialistischen Rußland mit dem west-
europäischen Imperialismus aufschieben können, so müssen wir diesen Weg
beschreiten. Wir ratifizieren diesen Vertrag nicht darum, weil er allen
Wünschen des russ. Volkes entspricht, sondern nur darum, weil wir der Kraft,
die uns bedrängt, keinen Widerstand leisten können. Das wissen wir und
weiß die deutsche Regierung, denn darin ist kein Geheimnis, und das muß
auch das deutsche Proletariat wissen. Wir sind gezwungen, den Finanzvertrag
mit demjenigen Imperialismus zu unterzeichnen, der sich augenblicklich nicht
den Luxus erlauben kann, gegen das Sowjetrußland bewaffnet vorzugehen.
Diese Taktik wird uns von unserer einzigen Aufgabe diktiert, von der Er-
haltung des Sowjetrußland, der Erhaltung der einzigen über die Welt
leuchtenden Fackel der sozialistischen Revolution. Das ist eine Politik des
Abwartens, bis diesem Vortrupp des Sozialismus die internationale Re-
volution zu Hilfe kommen wird. Wir unterschreiben diesen Vertrag in der
Hoffnung, daß das internationale Proletariat nicht zögern wird, uns Hilfe
zu bringen, und daß wir im Bunde mit ihm das Grab für den Imperia-
lismus aller Länder graben werden.
Nach der Ratifikation der Zusatzverträge gibt Trotzki einen Bericht
über die Lage an der Front, die er im allgemeinen als günstig bezeichnet.
Er wird daraufhin zum Präsidenten des neugeschaffenen (s. S. 451) Re-
volutionären Kriegsrates, der Lettenführer Wazetes zum Oberkomman-
dierenden an allen Fronten ernannt. ç
In der bolschewist. Presse werden die Zusatzverträge beifällig beurteilt.
So schreibt „Biednota“: Die Ergebnisse sind für uns sehr günstig. In
politischer Beziehung haben wir uns endgültig volle Unabhängigkeit in
inneren Fragen gesichert. Wir haben allmähliche Rückgabe Weißrußlands
im Verlaufe der nächsten Monate erlangt in dem Maße, wie wir unseren
Geldverpflichtungen nachkommen. Auf wirtschaftlichem Gebiet ist eine Reihe
von günstigen Vereinbarungen im Sinne einer Verminderung der materiellen
Verpflichtungen sowie der Austausch von Produkten mit Deutschland und
der Ukraine erzielt worden.
4. Sept. Russische Telegraphenagentur.
„Prawda“ meldet die Vereinigung der bisherigen „Petersb. Tel.-Ag.“
und des offiziellen Pressebüros zu einer Zentralbehörde „Russische Tel.-Ag.“,
deren Pressetelegramme mit der Bezeichnung „Rosta“ erscheinen werden.
10. Sept. Erfolge der Sowjettruppen.