Lußland. (Okt. 2.) 469
die internationale Lage der Arbeiker anhörten, dachte ein jeder von uns
an den neuen Revolutionsherd auf dem Balkan. Die Ausschaltung Bul-
gariens ist um so mehr von Wichtigkeit, als dieses Land zuerst nach Ruß-
land bewiesen hat, daß es sich darum handelt, daß das Joch des Imperia-
lismus abgeworfen wird. Das kleine Bulgarien wird die bevorstehende
Knechtung nicht leicht ertragen können. Wir wissen, zu welchen Mitteln die
Bourgeosiepresse greift, wenn es gilt, den Sozialismus zu verleumden oder
lächerlich zu machen. Wir wissen aber ganz genau, was in Bulgarien vor-
geht, und wie Malinow, eine Art Miljukow, zu bewerten ist. Die Partei
der Tesniaki-Kommunisten ist ein mächtiger Faktor in der internationalen
Revolution. Schon naht die Stunde der kommunistischen Oberherrschaft auch
in Bulgarien. Im Namen der Bolschewikipartei schlage ich vor, den Tes-
niaki-Kommunisten einen Gruß zu senden und folgende Resolution an-
zunehmen: Der Hauptvollzugsausschuß ermächtigt das Präsidium, 1. das
gesamte Proletariat der ganzen Welt über die Ansichten und Interventions-
gelüste der Entente zu unterrichten, 2. einen Gruß an alle gleichgesinnten
Parteien aller Länder zu übermitteln. — Die Resolution wird einstimmig
angenommen.
2. Okt. Anregung zur Aufhebung des Brester Friedens.
Die Sowjetregierung richtet folgende Note an Deutschland: Radek,
der den unsere Auslandspolitik leitenden Kreisen nahesteht, legt in seinen
Aufsätzen die grundlegenden Anschauungen dieser Kreise nieder. Dieses
bezieht sich jedoch nicht auf die innere Politik; deshalb hatte sein Artikel
über den „Roten Terror“ seinerzeit keine politische Bedeutung, sondern
war nur Ausdruck seiner Privatmeinung. Ganz anders verhält es sich
mit seinen Aufsätzen über die Außenpolitik. In seinem am 1. Okt. in
„Iswestija“ veröffentlichten Artikel „Der Schatten Rußlands“ muß man
folgende seiner Worte besonders unterstreichen: „Schweigend zeigt Rußland
dem deutschen Volke seine Wunden. Jetzt, wo das deutsche Volk schwere
Prüfungen erlebt, gibt es auch im Herzen des russ. Volkes keine Freude.
Das russ. arbeitende Volk ersehnt keinen Sieg der amerik. und Londoner
Börse, es spürt jetzt an seinem eigenen Leibe, was die „Befreiungsziele“
des anglo-franz. Imperialismus bedeuten. Das russ. Volk hat mit dem
deutschen Imperialismus keinen Verständigungsfrieden schließen können, dieser
hat ihm vielmehr einen harten Machtfrieden ausgezwungen. Im Augepblick
der schicksalsschweren Krise des deutschen Imperialismus sagen die russ.
Volksmassen zu ihm nicht: „Gib wieder, was Du genommen hast“; sie
wissen, daß der deutsche Imperialismus ihnen schwerlich das freiwillig
wiedergeben wird, was er ihnen in dieser Weise genommen hat. Die Politik
des Wahnsinns, die alle imperialistischen Staaten kennzeichnet, wird kaum
diesen vernünftigen Schritt zulassen, einen Schritt, der die Lage Rußlands
erleichtern könnte, und es ihm ermöglichte, seine eigenen Interessen gegen
die Verbündeten ohne ein Bündnis mit dem deutschen Imperialismus zu
verteidigen und die Bestrebungen des anglo-amerik. Kapitals zur Wieder-
schaffung einer Ostfront gegen Deutschland zu durchkreuzen.“ Dieses spiegelt
im gegenwärtigen Moment buchstäblich unsere Empfindungen wider: wir
zeigen schweigend unsere Wunden und nehmen an, daß der Schritt, der
für Deutschland selbst vorteilhaft wäre, von ihm feibst auch unternommen
werden wird.
In einer Sitzung, die der Hauptvollzugsausschuß der Sowjets
gemeinsam mit dem, Moskauer Sowjet und anderen Arbeiterorganisationen
am 4. Okt. abhält, wird eine Resolution bezüglich der nächsten Aufgaben
der bolschewistischen Politik angenommen, die das Vertrauen ausspricht, daß