Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Akraint. (Jan. 22.) 483 
schweren Stunde ist die Freiheit der Ukraine geboren worden. Vier Jahre 
des grausamen Krieges haben unser Land und Volk entkräftigt. Die Eisen- 
bahnen sind zerstört, das Geld fällt im Preise, die Brotmenge vermindert 
sich, der Hunger naht, im Lande vermehrten sich die Banden der Räuber 
und Mörder, besonders immer, wenn die russ. Truppen von der Front 
zurückkamen und blutiges Gemetzel, Unordnung und Zerstörung im Lande 
verursachten. Infolge aller dieser Dinge konnten die Wahlen zur ufkr. 
Konstituierenden Versammlung nicht zu dem Termin, der von dem vorher- 
gehenden Universal festgesetzt war, stattfinden, und es konnte auch jene Ver- 
sammlung nicht stattfinden, die auf den heutigen Tag anberaumt war, 
um die oberste revolutionäre Gewalt über die Ukraine aus unseren Händen 
zu übernehmen, die Ordnung in unserer Volksrepublik herzustellen und eine 
neue Regierung zu bilden. Die Petersburger Regierung der Volkskommissare 
aber erklärte während dessen den Krieg an die Ukraine, um die freie ukr. 
Republik unter ihre Gewalt zu bringen, und schickte gegen unser Land seine 
Truppen, die „Rote Garde“, die „Bolschewiki“, die das Brot bei unseren 
Bauern rauben und es ohne irgendwelchen Entgelt nach Rußland ausführen, 
ohne uns sogar das für die Aussaat vorbereitete Korn zu lassen, die un- 
schuldige Menschen töten und überall in den Städten Anarchie, Mord und 
Verbrechen verbreiten. Wir, die ukr. Zentralrada, bemühten uns, es nicht 
bis zu jenem brudermörderischen Krieg zwischen den beiden Nachbarvölkern 
kommen zu lassen, aber die Petersburger Regierung kam uns nicht ent- 
gegen und führt den blutigen Kampf mit unserem Volk und mit unserer 
Republik weiter. Außerdem beginnt dieselbe Petrograder Regierung der 
Volkskommissare den Friedensschluß zu verzögern und ruft zu neuem Krieg, 
den sie als einen „heiligen Krieg“ bezeichnet. Es wird Blut fließen, wieder 
wird das unglückliche arbeitende Volk sein Leben zum Opfer bringen müssen. 
Wir, die ukrainische Zentralreda, die von den Kongressen der Bauern, Ar- 
beiter und Soldaten der Ukraine gewählt sind, können in keinem Falle darauf 
eingehen, wir werden keinen Krieg unterstützen, denn das ukr. Volk sehnt 
sich nach Frieden, und der Frieden soll so bald wie möglich eintreten. Und 
zu dem Zweck, daß weder die russ. Regierung, noch irgendeine andere 
Regierung, die Ukraine an der Herstellung des ersehnten Friedens hindere, 
zu dem Zweck, um dem Lande die Ordnung und schöpferische Arbeit und 
die Befestigung der Revolution und unserer Freiheit zu geben, verkünden 
wir, die ukr. Zentralrada, allen Bürgern der Ukraine: Von nun an wird 
die ukr. Volksrepublik zu einer selbständigen, von niemand abhängigen, 
freien, souveränen Macht des ukr. Volkes. Mit allen Nachbarmächten und 
zwar: Rußland, Polen, Oesterreich, Rumänien, der Türkei und anderen 
Staaten wollen wir im Einvernehmen und Freundschaft leben, aber keine 
von ihnen darf sich in das Leben der selbständigen ukr. Republik einmischen. 
Die Staatsgewalt in der Republik wird nur dem Volke der Ukraine ge- 
hören, in dessen Namen wir bis zur Einberufung der ukr. Konstituierenden 
Versammlung regieren werden, die ukr. Zentralrada als Vertretung des 
arbeitenden Volkes, der Bauern, Arbeiter und Soldaten, und das Exekutiv- 
organ, das von nun an „Rada der Volksminister“ heißen wird. Und des- 
halb beauftragen wir vor allen Dingen die Regierung unserer Republik, 
die Rada der Volksminister, mit dem heutigen Tage die bereits begonnenen 
Friedensverhandlungen mit den Zentralmächten vollständig unabhängig zu 
Ende zu führen, ohne Rücksicht auf irgendwelche Schwierigkeiten seitens 
irgendwelcher anderen Teile des früheren russ. Reiches, und ein Einvernehmen 
herzustellen, damit unser Land in Ruhe und Freundschaft zu leben beginnen 
kann. Was die sog. Bolschewiki und anderen Banditen betrifft, die unser 
Land ausrauben und ruinieren, so befiehlt die Regierung der ukr. Volks- 
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