Ukraine. (April 29.) 489
kürliche Verhaftung des Direktors der Russ. Bank für auswärtigen Handel,
Dobryj, eine besondere Bedeutung. Dieser wurde ohne nähere Erklärungen
im Namen des „Bundes zur Befreiung der Ukraine“ in seinem Quartier
überfallen und weggeschleppt. Zur Hilfe gerufene Soldaten der Regierungs-
miliz weigerten sich, ihn zu schützen. Sein Aufenthalt ist zurzeit noch un-
bekannt. Dobryj war als ukr. Finanzsachverständiger mit den deutschen Mit-
gliedern der Wirtschaftskommission in enge Fühlung getreten und hatte sich
große Verdienste um sachgemäße Zusammenarbeit mit der deutschen und
österr. Delegation erworben. Außerdem liefen Nachrichten ein, daß weitere
Verhaftungen folgen sollten; zugleich mehrten sich die Anzeichen für den
Verdacht, daß die Verhaftung von Mitgliedern der Regierung selbst aus-
gegangen war. Dieser Entwicklung der Dinge konnte das deutsche Ober-
kommando nicht ruhig zusehen. Der Gewaltakt bedeutete den Wiederbeginn
der Anarchie und die Regierung hatte sich als zu schwach erwiesen, die
Rechtssicherheit in Kiew zu schützen. Feldmarschall v. Eichhorn verfügte daher
im Einverständnis mit dem K. Botschafter Frhrn. v. Mumm zur Sicherung
der Stadt Kiew besondere Maßnahmen, die im wesentlichen auf die Ein-
setzung von Militärgerichten, die strenge Bestrafung aller gemeiner Ver-
brechen und Androhung schwererer Strafen gegen jede Störung der
Ordnung abzielten. Inzwischen war die Untersuchung des Falles Dobryj
bereits einem deutschen Militärgericht übertragen. Sie führte u. a. zur Ver-
haftung des Kriegsministers Shukowski, des Abteilungschefs im Ministerium
des Innern Gajewski, der Frau des Ministers des Innern Tkatschenko,
des Kommandanten der Stadtmiliz Bogazki und des Abteilungschefs im
Ministerium des Aeußern Ljubinski. Die gerichtliche Untersuchung wird
fortgesetzt.
Die Ukr. Volksregierung veröffentlicht (am 26.) einen amtlichen
(von Abg. Scheidemann am 11. Mai im Hauptausschuß des Reichstags ver-
lesenen) Bericht über den Vorfall, worin Protest dagegen eingelegt wird,
daß Mitglieder der Regierung und der Zentralrada während einer Sitzung
der Rada von deutschen Soldaten verhaftet wurden. (S. dazu Tl. 1 S. 169 ff.)
Am 2. Mai teilt die deutsche Presse halbamtlich mit, daß die aus Kiew
gemeldeten Verhaftungen von Mitgliedern der früheren Radaregierung durch
die deutschen Militärbehörden wieder aufgehoben worden sind.
29. April. Sturz des Volksministeriums und der Rada, Pro-
klamation des Generals Skoropadski zum Hetman.
Das „WB.“ verbreitet am 2. Mai folgenden Bericht: In Kiew fanden
am 29. April Versammlungen von mehreren tausend Bauern aus der ganzen
Ukraine statt, in denen in mehr oder weniger scharfer Form Unzufrieden-
heit mit der Gesamtpolitik der bisherigen Regierung zum Ausdruck kam.
In der wichtigsten dieser Versammlungen wurde der Sturz der Regierung,
die Schließung der Zentralrada, die Absage der auf den 12. Mai ein-
berufenen Konstituierenden Versammlung und die Abkehr von der Land-
sozialisierung beschlossen und General Skoropadski, Abkömmling der alten
Hetmans der Kosakenrepublik, zum Hetman proklamiert. Die Rada, deren
Zugänge von Truppen der Regierung anfänglich schwach verteidigt wurden,
tagte weiter, fügte sich aber, als diese Truppen auf Zureden zwecks Ver-
meidung von Blutvergießen abgezogen waren, dem Schicksal. Die Um-
wälzung vollzog sich, abgesehen von einigen kleineren Schießereien, die einige
wenige Opfer forderten, äußerlich völlig ruhig. (S. dazu Tl. 1 S. 169 ff.)
General P. Skoropadski erläßt eine offizielle Bekanntmachun
an das ukr. Volk, worin es heißt: Die frühere ukr. Regierung erwies sich
als vollständig unfähig, Unruhen und Anarchie halten überall an, die wirt-