Pelen. (Nov. 18.) 515
Da die Verhandlungen Daszynskis zwecks Bildung eines neuen Ka-
binetts zu keinem positiven Ergebnis führen, reicht er Pilsudski sein De-
missionsgesuch ein, das angenommen wird. Pilsudski ernennt sodann fol-
gendes Ministerium: Präsidium und Verkehr: Moraczewski, Heeres-
angelegenheiten und Oberbefehlshaber: Pilsudski, Inneres: Thugutt,
Aeußeres: Wassilewski, Unterricht: Prauß, Justiz: Supinski, Finanzen:
Byrka, Ackerbau: Wojda, Verpflegungswesen: Minkiewicz, Arbeit und
öffentl. Fürsorge: Ziemiecki, Kunst und Wissenschaft: Dognarowickz, Post
und Telegraphen: Ackicewski, Handel und Gewerbe: Iwanoski; Mi-
nister ohne Portefeuille: Witos, Nocznicki und Malinowski. Drei
Ministerposten sind Vertretern des preuß. Teilgebiets vorbehalten.
Das neue Kabinett besteht vor allem aus galizischen Mitgliedern der
poln. soz. Partei und des Bauernbundes. Ministerpräsident ist der ehem.
Abg. des österr. Reichsrates und einer der Führer der soz. Partei in Ga-
lizien sowie Leiter mehrerer Gewerkschaften Andrzei Moraczewski. Der
Minister des Innern Stanislaw Thugutt, Mitglied der Bauernpartei, ist
ein bekannter Ethnograph und Statistiker. Der Außenminister Leo Wassi-
lewski, Mitglied der poln. soz. Partei, ist Verfasser mehrerer Werke über die
poln. Ost- und Westmarken. Er war Rektor an der jagellonischen Universität
in Krakau und Redakteur des in London erscheinenden poln. Blattes „Przeds-
wit“. Weitere hervorragende Persönlichkeiten im neuen Kabinett sind der
galizische Bauernführer und Abg. Witos und der frühere Dumaabgeordnete
Nocznicki. Einige Fachministerien sind mit Bürgerlichen besetzt.
Am 23. wird eine programmatische Erklärung der neuen Regierung
veröffentlicht, worin es heißt: Wir sind dem Volk entnommen, haben die
Gewalt von Arbeitern und Bauern überwiesen bekommen, wollen eine Volks-
regierung sein, die die Interessen der Millionen Arbeiter verteidigt und
ihren Willen vollzieht. Wir sind eine provisorische Regierung, die bis zur
Berufung der konstituierenden Versammlung zum Wohle des poln. Volkes
und Staates wirken will. Die konstituierende Versammlung, die aus dem all-
gemeinen, gleichen, direkten, geheimen Proportionalwahlrecht aller Bürger und
Bürgerinnen, die das 21. Jahr beendet haben, hervorgehen soll, wird Anfang
des nächsten Jahres einberufen, der Wahltermin auf den letzten Sonntag
des Januars 1919 festgesetzt. Das Herbeiführen der endgültigen Vereinigung
aller durch das poln. Volk bewohnten Länder oder solcher, die freien Anschluß
an Polen suchen wollen, betrachten wir als eine der hauptsächlichsten Auf-
gaben. Die gesetzlichen Beschränkungen gewisser Teile der Bevölkerung, die
von unseren Unterdrückern ererbt sind, werden wir rücksichtslos tilgen und
Streitigkeiten auf nationalem und konfessionellem Gebiet zu vermeiden suchen.
Die Einleitung und Aufrechterhaltung freundlicher Beziehungen zu allen
Staaten wird erstrebt werden. Unsere Vertreter sind zu, den Ententemächten
entsandt worden, denen die Poln. Republik vor allem ihre Wiedergeburt
verdankt und auf deren Unterstützung Polen bei der endgültigen Festlegung
der Grenzen rechnet. Für den Grenzschutz wird durch Bildung des Heeres
gesorgt. Das Verhältnis zu den Nachbarn soll sich nicht auf Macht und
Annexionismus stützen, sondern auf die Erkenntnis der beiderseitigen In-
teressen und auf friedliche Lösung der Streitfragen. Wir hoffen zuversichtlich,
daß die Demokratien der Nachbarstaaten ein friedliches Zusammenleben der
freien gleichberechtigten Völker ermöglichen werden. Innerpolitisch erachtet
die Regierung für dringend, Entwürfe für die Konstituante auszuarbeiten,
die die zwangsmäßige Enteignung des Großgrundbesitzes und Verteilung des
Bodens an das arbeitende Volk betreffen. Ferner sind Anträge auf Ver-
staatlichung der Bergwerke, Salinen, der Naphthagruben, aller Verkehrsmittel
und anderer Industriezweige, die sich hierfür eignen, ausgearbeitet. Ferner
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