Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

518 Polen. (Dez. 15.) 
Staate wieder in geordnete Bahnen geleitet werden, glaubt die poln. Regierung, 
auf Grund der angeführten Tatsachen die diplom. Beziehungen zwischen diesen 
beiden Staaten unterbrechen zu müssen. Indem ich dieser Ueberzeugung Aus- 
druck verleihe, sehe ich mich gezwungen, Ew. Exz. zu bitten, mit allen Mit- 
gliedern der Gesandtschaft das Gebiet der Poln. Republik unverzüglich zu 
verlassen. Der Minister der Ausw. Angelegenheiten. gez. L. Wassilewski. 
Das „WTB.“ begleitet die Note mit folgenden halbamtlichen Be- 
merk#ngen: 1. Der poln. Regierung fehlt jeder Rechtstitel, die Räumung 
des Ober-Ostgebietes zu fordern. Ein Eingehen auf diese Forderung durch 
die deutsche Regierung stünde im Widerspruch zu den von ihr angenommenen 
Waffenstillstandsbedingungen. 2. Im Gegensatz zu der behaupteten Bedrückung 
der poln. Bevölkerung im Ober-Ostgebiet ist durch den von der poln. Re- 
gierung nach Ober-Ost entsandten Vertreter des poln. Generalstabes aus- 
drücklich festgestellt worden, daß das Verhältnis in diesen Gebieten zwischen 
den deutschen Behörden und der poln. Bevölkerung gut ist. Hieraus geht 
schon hervor, daß die in der Note aufgestellte weitere Behauptung, die 
deutschen Behörden begünstigten die den Polen feindlichen Bevölkerungsteile, 
der Grundlage entbehrt. 3. Zwischen den deutschen Militärbehörden und 
der Sowjetregierung besteht keinerlei freundschaftliches Verhalten, wie der 
poln. Regierung genau bekannt ist. 4. Verhandlungen über die baldige 
Räumung der Bug-Etappe haben sofort nach Eintreffen des deutschen Ge- 
sandten in Warschau begonnen. Daß sie so spät zu Ende kommen, lag 
lediglich an dem Verhalten der poln. Regierung, die die deutschen Vorschläge 
wochenlang unbeantwortet ließ. 5. Die Behauptung, daß deutsche Militär- 
behörden in den Kämpfen zwischen den Ukrainern und Polen für die ersteren 
Partei ergriffen hätten, widerlegt sich schon dadurch, daß bekanntlich die 
deutschen Truppen sich verpflichtet haben, bei den Parteikämpfen in der 
Ukraine neutral zu bleiben und selbstverständlich unter Aufsicht ihrer Führer 
und Soldatenräte diesen Beschluß gewissenhaft aufrechterhalten haben. 6. Die 
Unterstellung, daß der Friede zwischen Deutschland und Polen durch Deutsch- 
land infolge der Organisierung des Heimatschutzes Ost gefährdet war, wird 
schon damit Lügen gestraft, daß die Gefährdung des Friedens offenkundig 
von der poln. Regierung selbst ausgegangen ist, indem sie in den Ostprovinzen 
eine zügellose Agitation entfaltete und nunmehr dazu übergegangen ist, in 
flagranter Verletzung nicht bloß des Völkerrechtes, sondern auch der speziellen 
Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages, Wahlen zum poln. Landtag. 
in reichsdeutschem Gebiet auszuschreiben. Alle Anregungen des Gesandten 
vom ersten Tage seines Aufenthaltes an, den Grenzschutz gemeinsam in 
friedlicher Weise zu organisieren, sind ohne Beantwortung geblieben. 7. Wäh- 
rend der Anwesenheit der deutschen Gesandtschaft in Warschau ist die deutsche 
Gesandtschaft unerhörten Anpöbelungen durch die poln. Presse oder gewalt- 
samer Anschläge der Warschauer Bevölkerung ausgesetzt gewesen. An allen 
Straßenecken durften hetzerische Aufrufe und Plakate mit Aufforderungen. 
zu den Waffen gegen das Deutschtum prangen, ohne daß irgend jemand auch 
nur versuchte, diesem Treiben der chauvinistischen Hetzer sich zu widersetzen. 
Am 17. kehrt Graf Keßler mit den übrigen Herren der Gesandtschaft 
nach Berlin zurück. Einem Mitarbeiter der „Voss. Ztg.“ macht er über den 
politischen Hintergrund für das Vorgehen der poln. Regierung folgende 
Mitteilungen: Der Bruch ist nicht aus sachlichen Gründen erfolgt; die 
Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Polen waren vielmehr 
im Laufe der vorausgehenden Verhandlungen beigelegt worden. Gerade 
am Tage, ehe die poln. Regierung die Beziehungen abbrach, war eine volle 
Einigung erzielt und mehrere Verträge im Wortlaut festgelegt worden. 
Es hat den Anschein, daß die Polen den Abbruch der Beziehungen zu Deutsch-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.