Bulgarien. (Olt. 4. 10.) 535
Allmächtigen, rufe ich alle Bulgaren auf, sich um meinen Thron zu scharen
und mir ihre ganze Unterstützung zu leihen, damit ich meine heilige Pflicht
gegen mein teures Vaterland erfülle, das Augenblicke höchster Anstrengungen
und harter Prüfungen durchlebt und der bulg Rasse eine würdige und
glückliche Zukunft vorbereitet. Es lebe Bulgarien! Sofia, 3. Okt. Gez.: Boris III.
Die Abdankung König Ferdinands ist die unausbleibliche Folge der
Vorgänge, die durch das Waffenstillstandsangebot in Fluß gekommen sind.
Der Zusammenbruch der Bündnispolitik des Königs hat sein Verbleiben
auf dem Thron unmöglich gemacht. Wie der „Köln. Ztg.“ am 30. Sept. aus.
Berlin mitgeteilt wird, hat König Ferdinand vor Abschluß des Wassen-
stillstandes an Kaiser Wilhelm wie an Kaiser Karl im Sinne des treuen
Festhaltens an der Bundesgenossenschaft telegraphiert. Mit seinem Rücktritt
erfüllt er eine in weiten Kreisen des bulg. Volkes verbreitete Forderung.
Ueberdies war seine gewaltsame Entthronung seitens der Entente zu be-
fürchten. — König Ferdinand (seit 14. Aug. 1887 Fürst von Bulgarien,
seit 5. Okt. 1908 König) verläßt noch am 3. Okt. Sofia und begibt sich zu
dauerndem Aufenthalt nach Koburg — König Boris, am 30. Jan. 1894
in Sofia geb., war ursprünglich katholisch getauft worden und am 14. Febr.
1896 zur griechisch-orthodoxen Kirche übergetreten. Er erhielt eine militärische
Erziehung nach deutschem Muster und ist noch unvermählt.
4. Okt. (Sobranje.) Billigung des Waffenstillstandes.
Ministerpräsident Malinow gibt zunächst die Abdankung des Königs
Ferdinand und die Thronbesteigung des neuen Königs bekannt und teilt
mit, daß er dem neuen König den Rücktritt des Kabinetts unterbreitet habe,
der jedoch nicht angenommen worden sei. Bei Erörterung des Waffen-
stillstandes führt M. aus: Wir alle kennen die ganze Tragweite des Miß-
geschickes, das unser Vaterland soeben getroffen hat, und beklagen tief dieses
Unglück. Wir wissen auch, daß dieses Unglück zum großen Teil der Tatsache
zuzuschreiben ist, daß wir nicht rechtzeitig von unseren Verbündeten Hilfe
erhielten. Aber geschehen ist geschehen, und es gilt jetzt, sich an die Gegen-
wart zu halten und an die Zukunft zu denken, um soweit als möglich die
Folgen der nationalen Katastrophe wieder gutzumachen. Meine Kollegen
und ich hätten alles Interesse daran, uns offen auszusprechen, aber wir
wollen in diesem Falle, wie stets, die Interessen des Landes über unsere
persönlichen Interessen stellen. Deshalb schlage ich vor, meinen Bericht in
einer geheimen Sitzung der Nationalversammlung zu unterbreiten.
Der Vorschlag des Ministerpräsidenten wird nach einer kurzen, durch
die Opposition der marxistischen Sozialisten hervorgerufenen Debatte an-
genommen und die Sitzung als geheim erklärt. In der geheimen Sitzung,
die fünf Stunden dauert, ergreifen die Vertreter aller parlamentarischen
Fraktionen der Reihe nach das Wort, worauf der Ministerpräsident die von
ihm verlangten Aufklärungen gibt. Schließlich wird einstimmig folgende
Tagesordnung angenommen: „Nach Anhörung des Ministerpräsidenten über
die Gründe, welche den Abschluß des Waffenstillstandes mit den Entente-
staaten herbeigeführt haben, billigt die Nationalversammlung die Haltung
der Regierung und geht zur Tagesordnung über.“ — Sodann vertagt sich
die Sobranje bis zum 15. Okt., an welchem Tage die ordentliche Session beginnt.
An der Sitzung nehmen nur 96 Abg. teil. Radoslawow und seine
Anhänger wurden durch Drohung mit sofortiger Verhaftung von der Sitzung
ferngehalten. Die muselman. Abg. konnten wegen Einstellung des Eisenbahn-
verkehrs nicht kommen.
10. Okt. Abbruch der bulg.-deutschen Beziehungen.
Der deutsche Gesandte in Sofia, Graf Oberndorff, verläßt mit Zu-