Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Vereinigte S#aaten von Merdemerihe und Kanads. (Jan. 8.) 557 
wohl, wie die möglichen Grundlagen eines allgemeinen Friedens zu besprechen. 
Darüber sind in Brest-Litowsk zwischen den Vertretern Rußlands und der 
Mittelmächte Unterhandlungen im Gange gewesen, für welche man die 
Aufmerksamkeit aller Kriegführenden gewinnen wollte, um zu ermitteln, 
ob es möglich sei, diese Unterhandlungen zu einer allgemeinen Konferenz 
über Friede und Streitschlichtung zu erweitern. Die russ Vertreter legten 
nicht nur eine genau festgelegte Erklärung der Grundsätze vor, auf Grund 
deren sie willens sein würden, Frieden zu schließen, sondern ein ebenso 
bestimmtes Programm über die konkrete Anwendung jener Grundsätze. Die 
Vertreter der Mittelmächte ihrerseits legten den Umriß einer Vereinbarung 
vor, der, wenn schon bedeutend weniger bestimmt. zu einer wohlwollenden 
Auslegung geeignet schien, bis zu dem Augenblick, da ihr besonderes Pro- 
gramm von praktischen Forderungen folgte. Jenes Programm sah keinerlei 
Zugeständnisse vor, weder an die Souveränität Rußlands, noch gegenüber 
den Wünschen der Bevölkerungen, deren Wohlfahrt es behandelte, sondern 
bedeutete im Gegenteil, kurz gesagt, daß die Mittelmächte jeden Fuß Boden, 
den ihre Waffenmacht besetzt hält, jede Provinz, jede Stadt, jeden vorteil- 
haften Punkt als dauernden Zuwachs zu ihrem Gebiet und ihrer Macht 
behalten sollten. Es ist eine naheliegende Vermutung, daß die allgemeinen 
Grundsätze der Verständigung, die zuerst vorgelegt worden waren, von den 
liberaleren Staatsmännern Deutschlands und Oesterreichs ausgingen, von 
jenen Männern, welche die Macht der Gedanken und Ziele ihrer eigenen 
Völker zu fühlen begonnen hatten, während die konkreten Bedingungen des 
tatsächlichen Abkommens von den militärischen Leitern kamen, die keines 
anderen Gedankens fähig sind, als zu behalten, was sie haben. Die Unter- 
handlungen sind abgebrochen worden. Die russ. Vertreter waren aufrichtig 
und meinten es ernst. Sie können sich nicht auf derartige Vorschläge der 
Eroberung und Beherrschung einlassen. Der ganze Zwischenfall ist voller 
Bedeutung. Er ist voll von bestürzenden Eindrücken. Mit wem unterhandeln 
die russ. Vertreter? Für wen sprechen die Unterhändler der Mittelmächte? 
Sprechen sie für die Majoritäten ihrer Parlamente oder für die Minder- 
heilsparteien, jene militärische und imperialistische Minderheit, welche bisher 
ihre ganze Politik beherrscht und die Angelegenheiten der Türkei und der 
Balkanstaaten kontrolliert hat, die sich genötigt sahen, in diesem Kriege 
ihre Bundesgenossen zu werden? Die russ. Vertreter haben mit allem Recht, 
sehr weise und im wahren Geiste der modernen Demokratie darauf bestanden, 
daß die Konferenzen, welche sie mit den deutschen und türk. Staatsmännern 
abhielten, bei offenen, nicht hinter geschlossenen Türen vor sich gehen sollten. 
Wie gewünscht, ist die ganze Welt Zuhörer gewesen. Wem aber haben wir 
nun zugehört? Etwa jenen, die den Geist und die Absichten der Entschließung 
des deutschen Reichstages v. 19. Juli verkünden, den Geist und die Absichten 
der liberalen Parteien Deutschlands, oder jenen, die Widerstand leisten und 
absichtlich jenem Geist und jenen Absichten Trotz bieten und auf Eroberung 
und Unterjochung bestehen? Oder hören wir nicht tatsächlich beide, un- 
versöhnlich und im offenen, hoffnungslosen Widerspruch? Dies sind sehr 
ernste, gewichtige Fragen. Von der Antwort hängt der Friede der Welt ab. 
Doch was immer die Ergebnisse der Beratungen in Brest-Litowsk, 
was immer die Verwirrung der Ratschläge und Zwecke in den Aeußerungen 
der Wortführer der Mittelmächte sein mögen, sie haben es neuerdings unter- 
nommen, die Welt mit ihren Kriegszielen bekannt zu machen, haben wiederum 
ihre Gegner herausgefordert, ihre Ziele zu nennen und bekannt zu geben, 
welche Art der Vereinbarung sie als gerecht und genügend erachten würden. 
Es besteht daher kein triftiger Grund, diese Herausforderung nicht anzunehmen 
und darauf mit der äußersten Aufrichtigkeit unsere Antwort zu erteilen. Wir
	        
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