Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

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wir nicht den Mut zu bejahen. Die Diskussion von einer öffentlichen 
Tribüne zur andern, wie sie bisher zwischen den Staatsmännern der ver- 
schiedenen Länder stattgefunden hat, war eigentlich nur eine Serie von 
Monologen. Es fehlte ihr vor allem die Unmittelbarkeit. Rede und Gegen- 
rede griffen nicht ineinander ein, die Sprecher sprachen aneinander vorbei. 
(Elle n'’était surtout pas mence d'une facon suivie. les diflerents dis- 
Cours et les arguments développés par les orateurs des deux cumps. 
opposés restaient sans réplique immédiate et directe.) Andererseits war 
es die Oeffentlichkeit und der Boden dieser Auseinandersetzungen, die ihnen 
die Möglichkeit eines fruchtbaren Fortschreitens raubten. Ber allen öffent- 
lichen Kundgebungen dieser Art wird eine Form der Beredsamkeit an- 
gewendet, die mit der Wirkung auf große Distanz und auf die Massen 
rechnet. Damit vergrößert man aber — bewußt oder unbewußt — den 
Abstand von der gegnerischen Auffassung, erzeugt Mißverständnisse, die 
Wurzel fassen und nicht beseitigt werden und erschwert den freimütigen, 
einfachen Gedankenaustausch. Jede Kundgebung der führenden Staats- 
männer wird, sowie sie stattgefunden hat und auch ehe die zuständigen 
Stellen der Gegenseite darauf erwidern können, zum Gegenstand einer leiden- 
schaftlichen oder übertreibenden Besprechung unverantwortlicher Elemente. 
Aber auch die verantwortlichen Staatsmänner selbst veranlaßt die Besorgnis, 
die Interessen der Kriegführung durch ungünstige Beeinflussung der Stim- 
mung in der Heimat zu gefährden und die eigenen letzten Absichten vor- 
zeitig zu verraten, zum Anschlagen hoher Töne und zum starren Festhalten 
an extremen Standpunkten. Soll also der Versuch unternommen werden, 
zu prüfen, ob für eine Verständigung (compromis), die die Katastrophe 
einer selbstmörderischen Fortsetzung des Kampfes von Europa abzuwenden 
geeignet ist, die Grundlagen gegeben sind, so wäre jedenfalls eine andere 
Methode zu wählen, die eine unmittelbare mündliche Erörterung zwischen 
den Vertretern der Regierungen und nur zwischen ihnen ermöglicht. Den 
Gegenstand einer solchen Erörterung und gegenseitigen Beleuchtung hätten 
ebenso die gegensätzlichen Auffassungen der einzelnen kriegführenden Staaten 
zu bilden, wie auch die allgemeinen Prinzipien, die dem Frieden und dem 
künftigen Verhältnis der Staaten zueinander als Basis dienen sollen und 
über die zunächst eine Einigung mit Aussicht auf Erfolg versucht werden 
kann. Sobald eine Einigung über die Grundprinzipien erreicht wäre, müßte 
man im Verlauf der Besprechungen versuchen, sie auf die ein zelnen Friedens- 
fragen konkret anzuwenden und damit deren Lösung herbeizuführen. Wir 
möchten hoffen, daß auf seiten keines der Kriegführenden ein Bedenken 
gegen einen solchen Gedankenaustausch vorliegen werde. Die Kriegshand- 
lungen erführen keine Unterbrechung, die Besprechungen gingen auch nur 
soweit, als sie von den Teilnehmern für aussichtbietend gehalten würden. 
Für die vertretenen Staaten könnten daraus keine Nachteile erwachsen; 
weit entfernt zu schaden, müßte ein solcher Gedankenaustausch für die 
Sache des Friedens nur von Nutzen sein. Was das erste Mal nicht ge- 
lingt, kann wiederholt werden und hat vielleicht mindestens schon zur 
Klärung der Auffassungen beigetragen. Berge von alten Mitverständnissen 
ließen sich wegräumen, viele neue Erkenntnisse zum Durchbruche bringen, 
Ströme von zurückgehaltener Menschenfreundlichkeit würden sich lösen, in 
deren Wärme alles Wesentliche bestehen bliebe, dagegen manches Gegen- 
sätzliche verschwinden würde, dem heute noch eine übermäßige Bedeutung 
beigemessen wird. Nach unserer Ueberzeugung sind alle Kriegführenden es 
der Menschheit schuldig, gemeinsam zu untersuchen, ob es nicht jetzt nach 
so viel Jahren eines opfervollen, jedoch unentschiedenen Kampfes, dessen 
ganzer Verlauf auf Verständigung weist, möglich ist, dem schrecklichen
	        
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