Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Pie österreichischungerische Monarchie und die Nacfolzestasten. (Okt. 1.—11.) 61 
Nach langen Verhandlungen der Regierung mit den Parteien tritt 
das Haus wieder zusammen, um vor allem die notwendigsten Steuer- 
vorlagen zu erledigen. Nach einer patriotischen Ansprache des Präsidenten 
ergreift Ministerpräsident Frhr. v. Hussarek das Wort zu einer ausführ- 
lichen programmatischen Rede. Er gibt zunächst ein ausführliches Bild der 
Gesamtlage des Staates, wobei er ausführt: Durch den von Bulgarien 
abgeschlossenen Waffenstillstand ist zweifellos auch für die Monarchie im 
Südosten eine ernste Lage geschaffen worden. Diese Lage ist jedoch keines- 
wegs kritisch. Die entsprechenden militärischen Vorkehrungen sind im Verein 
mit dem Deutschen Reiche ungesäumt und umfassend getroffen worden. Sie 
sind in gutem Gange. Ich vermag nach Mitteilung berufener Stellen zu 
erklären, daß wir alles getan haben, um der Weiterentwicklung der Dinge 
auf dem Balkan mit Ruhe entgegenblicken zu dürfen. Auch an dieser Front 
stehen unsere Truppen Schulter an Schulter mit den Deutschen und be- 
währen auch dort wieder herrlich und in Treue das festgefügte Bündnis, 
das auch in Zukunft allen Proben des Schicksals unerschütterlich stand- 
halten wird. (Zwischenrufe bei den Tschechen: Los von Deutschland !) So 
wie im Kampfe werden wir aber auch am Werke des Friedens Hand in 
Hand miteinander gehen. v. H. weist sodann auf die bisher unternommenen 
Schritte zur Verständigung mit den Gegnern hin und fährt fort: In der 
Tat hat sich in den grundsätzlichen Fragen der künftigen Weltgestaltung 
ein gewisses Maß von Uebereinstimmung gezeigt, insbesondere in der Rich- 
tung, daß alle Teile von dem seinerzeitigen Friedensschlusse nicht nur die 
tatsächliche Beendigung des Kriegszustandes, sondern die dauernde Sicherung 
des Friedens verlangen und zwar einerseits durch Schaffung von Existenz- 
bedingungen für alle Staaten, die Anlaß oder Vorwand für einen Appell 
an die Gewalt benehmen, andererseits durch Festlegung einer internationalen 
Organisation, welche diesen Zustand kontrolliert, ausgestaltet und gegen 
Störungsversuche, von welcher Seite immer, wirksam schützt. An diese ge- 
meinsam anerkannten Grundgedanken anknüpfend, sollte die vom Minister 
des Aeußern vorgeschlagene Aussprache (v. 14. Sept.) eine Ausgleichung, 
wie sie in der einen oder anderen Form der Verlauf des Krieges, aller- 
dings unter unsäglichen Leiden für die gesamte Menschheit, schließlich ein- 
mal bringen muß, durch ein abgekürztes und dem ethischen Bewußtsein 
unserer Zeit vielleicht angemesseneres Verfahren vorbereiten. Die Stunde 
dafür wird kommen. Ich sehe der Stunde mit Ruhe und Festigkeit ent- 
gegen. Wir sind stets bereit zur Tat der Versöhnung und Gerechtigkeit. 
Während dessen gilt es, in mancher Richtung künftige Gestaltungen vor- 
zubereiten, die sich aus den Trümmern der vom Kriege heimgesuchten Welt 
erheben werden. Eines der wichtigsten Probleme dieser Art liegt in der 
poln. Frage vor. Heute ist der poln. Staat bereits auf der Zweikaiser- 
proklamation v. 5. Nov. 1916 aufgebaut. Seine selbständige Repräsentanz 
verhandelt gleichberechtigt mit den Vertretern der Mittelmächte, und Polen 
ist in vollem Begriff, sich als unabhängiger Faktor in der politischen Welt 
Europas zu etablieren. Ohne irgendwie auf die im Befreiungswerk er- 
brachte Leistung zu pochen, werden wir jene Fragen, die sich aus dem 
Nachbarverhältnis ergeben, im Wege von Verhandlungen und durch wechsel- 
seitige freundliche Bereitwilligkeit lösen. Wie Polen aber die endgültige 
Gestaltung seiner Staatlichkeit einrichten will, das bleibt seiner freien 
Selbstbestimmung überlassen. Daß es in Polen selbst mächtige Strömungen 
gibt, die die Realisierung des Unabhängigkeitsgedankens in Form eines 
engeren Anschlusses an die Monarchie wünschen, ist bekannt, und wenn wir 
auf österr. Seite solchen Bestrebungen sympathisch gegenüberstehen und ihnen 
durch unser Entgegenkommen die Wege zu erleichtern trachten, so kann uns
	        
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