1. Pie riedeusverhandlunzen mit Großrußland u. der Abraine. (Jan. 9.—12.) 653
russ. Delegation nicht an einem anderen, vom Reichskanzler (s. Tl. 1 S. 2)
erwähnten Argument vorüberzugehen. Gemeint sei jener Teil der Rede des
Grafen Hertling, in der dieser außer auf das gute Recht und das loyale
Gewissen auch auf die Machtstellung Deutschlands hingewiesen habe. Die
russ. Delegation habe weder die Möglichkeit noch die Absicht zu bestreiten, daß ihr
Land durch die Politik der bis vor kurzem herrschenden Klassen geschwächt
sei; aber die Weltstellung eines Landes werde nicht nur durch den augen-
blicklichen Stand seines technischen Apparates bestimmt, sondern auch durch
die ihm innewohnenden Möglichkeiten, wie ja auch die wirtschaftliche Kraft
Deutschlands nicht nur nach dem heutigen Stande seiner Verpflegungsmittel
beurteilt werden dürfe. Ebenso wie die große Revolution des 16. und die
große Revolution des 18. Jahrhunderts die schaffenden Kräfte des deutschen
und des französischen Volkes zum Leben geweckt habe, so seien durch die
große Revolution in Rußland die schaffenden Kräfte des russ. Volkes geweckt
und entfaltet worden. Aber die russ. Regierung habe an die Spitze ihres
Programms das Wort „Friede“ geschrieben, und die hohen Sympathien,
welche das russ. Volk den Völkern der Verbündeten entgegenbringe, bestärkten
es in dem Wunsche, den schleunigsten Frieden, der auf der Verständigung
der Völker begründet sein werde, zu erreichen. Um den Mächten des Vier-
bundes den Vorwand eines Abbruches der Friedensverhandlungen aus
technischen Gründen zu entziehen, nehme die russ. Delegation die Forderung
an, in Brest-Litowsk zu bleiben. Sie bleibe in Brest-Litowsk, um keine
Möglichkeit in dem Kampfe um den Frieden unausgenützt zu lassen. Indem
die russ. Delegation auf ihren Vorschlag wegen Verlegung der Verhand-
lungen auf neutralen Boden verzichte, beantrage sie zur Fortsetzung der
Verhandlungen überzugehen.
Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird dann beschlossen, am Nachmittage
zwischen den Delegationen Deutschlands und Oesterreich-Ungarns einerseits und
Rußlands andererseits eine interne Beratung abzuhalten. In dieser Sitzung
wird vereinbart, daß die von der russ. Delegation am 27. Dez. 1917 vor-
geschlagene Kommission zur Beratung der politischen und terri-
torialen Fragen gebildet werden solle und daß parallel mit den Beratungen
dieser Kommission Vorbesprechungen der Fachreferenten der einzelnen Dele-
gationen über die Regelung der wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen
stattzufinden hätten. Es wird des weiteren vereinbart, daß die ersterwähnte
Kommission am 11. Januar, vorm. 10 Uhr, ihre Beratungen beginnen soll.
Am 12. gibt der Vorsitzende, Graf Czernin, in Erwiderung der
Mitteilung des Vertreters der Ukr. Volksrepublik am 10. im Namen der
Delegationen der vier verbündeten Mächte folgende Erklärung ab: Wir
erkennen die ukr. Delegation als selbständige Delegation und als bevoll-
mächtigte Vertretung der selbständigen Ukr. Volksrepublik an. Die formelle
Anerkennung der Ukr. Volksrepublik als selbständiger Staat durch die vier
verbündeten Mächte bleibt dem Friedensvertrage vorbehalten.
Trotzki führt hierauf folgendes aus: Im Zusammenhange mit der
soeben in der Erklärung der Delegationen des Vierbundes behandelten
Frage erachte ich es für notwendig, zum Zwecke der Information und be-
hufs Beseitigung möglicher Mißverständnisse folgende Erklärung abzugeben:
Diejenigen Konflikte, welche sich zwischen der russ. Regierung und dem
Generalsekretariat ergeben haben und deren tatsächliche Seiten mehr oder
weniger allen Anwesenden bekannt sind, hatten und haben keinen Zusammen-
hang mit der Frage der Selbstbestimmung des ukr. Volkes. Sie sind durch
die Widersprüche zwischen der Politik der Sowjets der Volkskommissäre und
des Generalseketariats entstanden, Widersprüche, die ihren Ausdruck erhalten
sowohl auf dem Territorium der Ukraina wie auch außerhalb ihrer Grenzen.