Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

1. Bie Friedeusverhandlunzen mit Greßrußland u. der Akraine. (Jan. 11.—18.) 655 
Nach einer kurzen einleitenden Diskussion über formale Fragen der 
Beratungen wird zunächst festgestellt, daß an erster Stelle des abzuschließen- 
den Friedensvertrages die Beendigung des Kriegszustandes zwischen 
den kriegführenden Teilen ausgesprochen werden solle. Dagegen lehnt es 
Trotzki ab, anschließend hieran auszusprechen, daß die vertragschließenden 
Teile entschlossen seien, „fortan in Frieden und Freundschaft zu leben“. Er 
findet, daß dies eine dekorative Phrase sei, die nicht den Sinn der Be- 
ziehungen kennzeichne, welche in Zukunft zwischen dem russ. und dem deut- 
schen Volke bezw. den Völkern Oesterreich-Ungarns bestehen würden. Er 
hoffe, daß ganz andere Dinge die Beziehungen zwischen den Völkern beein- 
flussen würden. Nach einer Diskussion über diesen Punkt wird beschlossen, 
auf den Gegenstand in einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen. 
Im weiteren Verlaufe der Besprechung wird festgestellt, daß Einver- 
nehmen darüber herrsche, die Räumung der von beiden kriegführen- 
den Parteien besetzten Gebiete prinzipiell auf die Grundlage der 
vollen Gegenseitigkeit zu stellen, derart, daß die Räumung des besetzten 
russ. Gebietes an die Räumung der von Rußland besetzten Gebiete Oester- 
reich--Ungarns, der Türkei und Persiens zu knüpfen sei. In einem späteren 
Stadium der Verhandlungen wird Persien aus diesem Zusammenhange 
gestrichen, da es nicht kriegführender Teil sei. Trotzki schlägt vor, am 
Schlusse den Satz einzuschalten: „Rußland verpflichtet sich, in möglichst 
schneller Zeit seine Truppen aus den Gebieten des besetzten neutralen Persiens 
heraus zuführen“ und fügt hinzu, daß er keinen anderen Grund zu dieser 
geplanten Aenderung habe als den Wunsch, das schreiende Unrecht zu be- 
tonen, das von der früheren russ. Regierung gegenüber einem neutralen 
Lande begangen worden sei. — Hierzu bemerkt Staatssekretär v. Kühl- 
mann, er begrüße diese Erklärung um so mehr, als auf Seite der Zentral- 
mächte für das alte Kulturvolk der Perser die allerlebhaftesten Sympathien 
bestünden und sie nichts mehr wünschten, als daß die Perser in Zukunft 
frei von Unterdrückung ihre nationale Kultur pflegen könnten. 
Es kommt sodann die Frage zur Besprechung, in welchem Zeitpunkte 
die Räumung der besetzten Gebiete zu erfolgen haben werde. Der deutsche 
Vorschlag geht dahin, die Räumung an den Zeitpunkt zu knüpfen, in welchem 
nach Friedensschluß Rußland seine Streitkräfte demobilisiert haben werde. 
Die Räumung der besetzten Gebiete an die erfolgte Demobilisierung der 
russ. Streitkräfte zu binden, sei deshalb notwendig, weil die Gefahr vor- 
liege, daß Rußland, bevor es seine Streitkräfte demobilisiert habe, infolge 
Veränderungen in seinem Regierungssystem und seinen Absichten jederzeit 
in der Lage wäre, wieder Offensivoperationen durchzuführen. Trotzki 
spricht demgegenüber den Wunsch aus, die Räumung der besetzten Gebiete 
parallel mit dem Verlaufe der beiderseitigen Demobilisierung durchzuführen, 
worüber nähere Vereinbarungen zu treffen wären. Nach einem Hinweise 
v. Kühlmanns darauf, daß nach dem russ. Vorschlage die Räumung der 
besetzten Gebiete sich bis zum Abschlusse des allgemeinen Friedens hinaus- 
ziehen müsse, wird die Beratung über diesen Punkt abgebrochen. 
Es gelangt nun die Frage zur Erörterung, auf welche Teile der 
besetzten Gebiete sich die Räumung zu erstrecken habe. Hierzu 
führt v. Kühlmann aus: Wie aus der Definition der Räumung hervor- 
geht, erstreckt sie sich nur auf diejenigen besetzten Gebiete, welche noch Teile 
des Staatsgebietes derjenigen Macht sind, mit der der Friede geschlossen 
wird. Auf solche Gebiete, welche bei Eintritt des Friedens nicht mehr Teile 
dieses Staatsgebietes bilden, erstreckt sie sich nicht. Es würde also in eine 
Untersuchung einzutreten sein, ob und welche Teile des ehemals russ. Gebiets bei 
Eintritt des Friedens noch als zum russ. Gebiet gehörig betrachtet werden können.
	        
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