Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

1. Sie Friedeusverhanklungen mit Graffrußland u. der Akraine. (Febr. 3.—10.) 673 
Mittelmächte abgegebenen Erklärungen sowie auf die Darlegungen, welche 
über diese Frage von den Staatsmännern Deutschlands und der verbün- 
deten österr.-ung. Monarchie vor ihren Volksvertretungen gemacht worden 
seien. Trotz der von den Mittelmächten vertretenen und festgehaltenen 
Auffassung, nach der das Selbstbestimmungsrecht in diesen Gebieten bereits 
ausgeübt worden sei, seien die verbündeten Regierungen bereit, durch 
den planmäßigen Ausbau der bestehenden Vertretungskörper die Möglich- 
keit einer Kundgebung auf breitester volkstümlicher Grundlage zu schaffen. 
Die Bestimmung des Zeitpunktes und der Form dieser Kundgebung wäre 
zweckmäßig im Einvernehmen mit den derzeitigen Vertretungskörpern der 
betreffetuden Gebiete festzusetzen. — Graf Czernin bemerkt, das Ver- 
hältnis der Ukraine zur Petersburger Regierung gehe den Vierbund 
nichts an. Ein unfreundlicher Akt gegen die russ. Regierung sei in dem 
Friedensschluß mit der Ukraine nicht zu erblicken. Der Vierbund habe mit 
der Ukraine keinen Bundes-, sondern einen Friedensvertrag unterzeichnet, 
die Ukraine sei also für den Vierbund durch diesen Vertrag nicht ein ver- 
bündeter, sondern ein neutraler Staat geworden. — Auf die Frage Trotzkis 
nach der Grenzführung südlich von Brest-Litowsk, über die mit den Ukrainern 
verhandelt worden sei, entgegnet v. Kühlmann, daß auch bei der Ziehung 
dieser Grenze versucht worden sei, zwischen der ethnographischen Volks- 
verteilung und den historisch entstandenen Grenzlinien einen verständigen 
Mittelweg zu finden. — Nachdem Graf Czernin bemerkt hat, daß er keinen 
Grund sehe, weshalb der russ. Delegation keine Mitteilung über die Führung 
der Grenzlinie südlich von Brest gegeben werden solle, erklärt Trotzki sich 
mit dem Zusammentritt einer militärtechnischen Kommission zur Prüfung 
der Grenzlinie einverstanden. — v. Kühlmann betont, es sei unbedingt 
nötig, bis zu der für den folgenden Tag anzuberaumenden Sitzung Klarheit 
zu schaffen. Es handle sich jetzt darum, Entschlüsse zu fassen. Von dem 
Wunsche der Beschleunigung der Verhandlungen geleitet, wolle er eine neue 
Fassung vorschlagen, die unter Umständen den zweiten Artikel des zu ver- 
einbarenden Friedensvertrages bilden könnte. Diese laute: „Rußland nimmt 
Kenntnis von folgenden territorialen Veränderungen, die mit der Ratifikation 
des gegenwärtigen Friedensvertrages eintreten: Die Gebiete zwischen den 
Grenzen Deutschlands und Oesterreich-Ungarns und einer Linie, die 
verläuft, werden der territorialen Oberhoheit Rußlands nicht mehr unter- 
liegen. Aus ihrer ehemaligen Zugehörigkeit zum russ. Kaiserreiche werden 
ihnen keinerlei Verpflichtungen gegenüber Rußland erwachsen. Das künftige 
Schicksal dieser Gebiete wird in dieser Beziehung im Einvernehmen mit 
ihren Völkern entschieden werden, und zwar nach Maßgabe der Verein- 
barungen, die Deutschland oder Oesterreich-Ungarn mit ihnen treffen 
werden.“ Im Zusammenhange hiermit wolle er noch bemerken, daß 
der wesentliche Inhalt des Art. 1 des ersten Vorschlags für den Vier- 
bund eine conditio sine qua non des Friedensschlusses sei. Es handle sich 
darum, daß die Räumung gewisser Gebiete durch die Mittelmächte zugesagt 
worden sei unter der Bedingung, das die Räumung der Gebiete ihrer Ver- 
bündeten gleichzeitig stattfinde. Damals sei als Zeitpunkt, von welchem an 
für die Mittelmächte die Räumungsverpflichtung beginnen würde, das Ende 
der russ. Demobilisierung in Aussicht genommen worden. Er stehe nicht an, 
zu erklären, daß die Mittelmächte hinsichtlich dieses Zeitpunktes zu Kon- 
zessionen bereit wären, müsse aber wiederholen, daß ein Friedensschluß, 
in welchem die Zusicherung der Räumung der verbündeten Gebiete durch 
die Truppen der Petersburger Regierung nicht enthalten sei, nicht in Frage 
käme. Nach früheren Mitteilungen des Volkskommissars für Ausw. An- 
gelegenheiten glaube er nicht daran zweifeln zu sollen, daß die russ. Truppen 
Européischer Geschichtskalender. LIX 43
	        
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