Bie österreichisch-ungarische Monarchie und die Nachfelgestaaten. (Jan. 15. 17.) 3
Mehlration. Am 19. gibt sowohl der österr. wie der ung. Ministerpräsident
den Arbeiterführern diesbezügliche bindende Erklärungen ab.
Am 20. veröffentlicht die Wiener „Arbeiterzeitung“ einen Auf-
ruf an die Arbeiter und Arbeiterinnen, worin der Wiener Arbeiterrat mit-
teilt, daß die Regierung gegenüber den Forderungen der Arbeiterschaft weit-
gehendes Entgegenkommen gezeigt habe. Dafür, daß diese wertvollen Ver-
sprechungen nicht leere Versprechungen bleiben, bürge die Macht der Arbeiter-
klasse selbst. Aus diesen Gründen habe der Wiener Arbeiterrat einmütig
beschlossen, die streikende Arbeiterschaft Wiens zur sofortigen Wiederaufnahme
der Arbeit aufzufordern. Am 21. wird daraufhin die Arbeit ziemlich all-
gemein wieder ausgenommen.
15. Jan. (Ungarn.) Kaiser Karl genehmigt das Rücktritts-
gesuch des Ministers für Volksernährung Grafen Joh. Hadik.
17. Jan. (O sterr. Abg.-Haus.) Friedensprogramm von Brest-
Litowsk.
Im Budgetausschuß kommt es unter dem Eindruck der um sich
greifenden Streikunruhen zu einer lebhaften politischen Aussprache über die
bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk zu verfolgenden Friedens-
grundsätze. Abg. Seitz (Dtsch. Soz.) bezeichnet es als unmöglich, daß der
Budgetausschuß in der gegenwärtigen Zeit eine beschauliche Debatte über
die Ressortfragen der inneren Verwaltung führe. Breite Massen des Volkes
seien beunruhigt über die Verhandlungen in Brest-Litowsk und dächten
nur daran, wie diese so rasch als möglich im günstigen Sinne abgeschlossen
werden können. Er stelle daher den Antrag, in Abänderung der Tages-
ordnung zunächst Kapitel VI (Beitragsleistung zu den gemeinsamen An-
gelegenheiten) in Verhandlung zu ziehen, das die Möglichkeit biete, über
die Friedensfragen eingehend zu sprechen.
Nach Annahme des Antrags führt Abg. Dr. Viktor Adler (Dtsch.
Soz.) aus: Die russ. Revolution hat jenes Motiv beseitigt, das für unsere
Volksmassen den Krieg psychologisch ermöglicht hat. Wir stehen heute vor
der Möglichkeit des Friedens und darum hat alle Welt die Ueberzeugung,
der Friede darf durch Fragen des Prestiges, durch Fragen von Zukunfts-
plänen nicht hinausgeschoben werden. Nun sieht man plötzlich, daß die Ver-
handlungen in einem Tone und in einer Art geführt werden, von der man
sagen müsse, so macht man keinen Frieden. Man würde dabei Rußland
unterschätzen und die ganze Weltlage falsch beurteilen. In diesem Moment
ist ohne jedes Signal, ohne jede von der soz. Partei gegebene Parole, in
den Massen der Gedanke wach geworden: Wenn diese Hoffnung vergeht und
nichts zu essen da ist, haben wir nichts mehr zu verlieren. Das ist die
Stimmung in der Bevölkerung. Wir können nicht schweigend zusehen, wie
ein paar Herren in Brest-Litowsk ihre Politik, vielleicht die Politik anderer
machen und das Schicksal der Friedensverhandlungen vielleicht gegen den
Willen der österr. Friedensunterhändler aufs Spiel setzen. Man kann in
Brest-Litowsk nicht verhandeln, ohne die Völker Oesterreichs mit am Tische
sitzen zu lassen. Wenn auch nicht als Person, aber es muß doch das Be-
wußtsein der Verantwortlichkeit für unser aller Schicksal dort am Tische
sein. Wir müssen von der Regierung hören, was sie will. Die Ausschaltung
des Parlaments bedeutet für die Massen draußen eine ganz unmögliche
Situation. Es kann nicht zugegeben werden, daß die Abg. stumm sind und
aus den Zeitungen erfahren müssen, daß ein General auf den Tisch schlägt.
mit dem Säbel gerasselt wird, und der Friede in Gefahr kommt. Bei der
Politik ist weder das österreichische noch das deutsche Oberkommando not-
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