Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Bie erreichischungarische Msnarchie und die Nachfoltenateu. (Okt. 17.) 71 
nund der Erfüllung zuzuführen. Ich bin entschlossen, dieses Werk unter 
freier Mitwirkung Meiner Völker im Geiste jener Grundsätze durchzuführen, 
die sich die verbündeten Monarchen in ihrem Friedensangebot zu eigen 
gemacht haben. Oesterreich soll dem Willen seiner Völker gemäß zu einem 
Bundesstaate werden, in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedelungs- 
gebiete sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet. Der Vereinigung der 
poln. Gebiete Oesterreichs mit dem unabhängigen voln. Staate wird hier- 
durch in keiner Weise vorgegriffen. Die Stadt Triest samt ihrem Gebiete 
erhält den Wünschen ihrer Bevölkerung entsprechend eine Sonderstellung. 
Diese Neugestaltung, durch die die Integrität der Länder der ung. heiligen 
Krone in keiner Weise berührt wird, soll jedem nationalen Einzelstaate seine 
Selbständigkeit gewährleisten. Sie wird aber auch gemeinsame Interessen 
wirksam schützen und überall dort zur Geltung bringen, wo die Gemein- 
samkeit ein Lebensbedürfnis der einzelnen Staatswesen ist. Insbesondere 
wird die Vereinigung aller Kräfte geboten sein, um die großen Ausgaben, 
die sich aus den Rückwirkungen des Krieges ergeben, nach Recht und Billig- 
keit erfolgreich zu lösen. Bis diese Umgestaltung auf gesetzlichem Wege 
vollendet ist, bleiben die bestehenden Einrichtungen zur Wahrung der all- 
gemeinen Interessen unverändert aufrecht. Meine Regierung ist beauftragt, 
zum Neuaufbau Oesterreichs ohne Verzug alle Arbeiten vorzubereiten. An 
die Völker, auf deren Selbstbestimmung das neue Reich sich gründen wird, 
ergeht mein Ruf, an dem großen Werke durch Nationalräte mitzuwirken, 
die, gebildet aus den Reichsratsabg. jeder Nation, die Interessen der Völker 
zueinander sowie im Verkehr mit Meiner Regierung zur Geltung bringen 
sollen. So möge unser Vaterland, gefestigt durch die Eintracht der Nationen, 
die es umschließt, als Bund freier Völker aus den Stürmen des Krieges 
hervorgehen. Der Segen des Allmächtigen sei über unserer Arbeit, damit 
das große Friedenswerk, das wir errichten, das Glück aller Meiner Völker 
bedeutet. Wien, am 16. Oktober 1918. Karl m. p. Hussarek m. p. · 
Gleichzeitig wendet sich Kaiser Karl folgendermaßen an Armee und 
Flotte: Den Wünschen aller Völker Oesterreichs entsprechend, erfolgt ihr Zu- 
sammenschluß in nationale Staaten, vereint in einem Bundesstaate. Wenn 
hierdurch einerseits Hemmungen beseitigt werden, die im Zusammenleben der 
Völker bestanden haben, so soll anderseits geeintem Schaffen zum Wohle 
des eigenen Volkes und des Vaterlandes künftighin ungehemmt freie Bahn 
offen sein. In diesem bedeutungsvollen Augenblick wende Ich Mich an 
Armee und Flotte. In Euren Reihen hat die Treue und Einigkeit alle 
Nationen untereinander und mit Mir stets unlösbar verbunden. Uner- 
schütterlich ist mein Vertrauen, daß der seit altersher und auch jetzt voll 
bewährte Geist der Treue und Eintracht unverrückbar fortbestehen wird. 
Ihn wollen wir bewahren. Er werde Oesterreichs neuen Staaten das kost- 
barste Erbe, ihnen und Mir zu Lust und Frommen. Das walte Gott! 
Schönbrunn, am 17. Oktober 1918. Karl m. p. 
Mit der Umbildung Oesterreichs in einen Bundesstaat, die von dem 
Ministerpräsidenten Frhr. v. Hussarek unerwartet vorgeschlagen wurde, nach- 
dem der Plan eines internationalistischen Koalitionsministeriums gescheitert 
war (s. S. 66), verfolgt die Regierung den Zweck, für Oesterreichs Neu- 
gestaltung ein fertiges Programm zu schaffen, damit auf der Friedens- 
konferenz die inneren Verhältnisse Oesterreichs nicht zur Sprache kommen 
könnten. Eine praktische Wirkung übt das Manifest nicht mehr aus, da die 
innere Auflösung der Monarchie bereits zu weit vorgeschritten ist. Von 
den Tschechen und Südflawen wird das Manifest grundsätzlich abgelehnt. 
Die Polen betrachten sich bereits als aus dem Staatsverband ausgeschieden. 
Die Ukrainer nehmen das Manifest nur unter der Bedingung an, daß dieses
	        
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