Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

760 Anhang I. Biplomatische Euthüllungen. 
Die „Korr. Hoffmann“ verbreitet am 23. Nov. 1918 eine amtliche 
Mitteilung, worin es einleitend heißt: „Ministerpräsident Eisner hat 
vor kurzem bei der Reichsregierung den Antrag gestellt, die Akten über den 
Kriegsursprung zu veröffentlichen. Diese Anregung war durch die Einsicht 
veranlaßt, daß nur durch die volle Wahrheit jenes Vertrauensverhältnis 
zwischen den Völkern hergestellt werden könnte, das Voraussetzung für einen 
Frieden der Völkerversöhnung ist. Der bayer. Ministerpräsident wird seiner- 
seits bemüht sein, aus den diplomatischen Urkunden des bayer. Dienstes 
aufklärende Beiträge zur Vorgeschichte des Weltkrieges zu veröffentlichen.“ 
Sodann werden im Auszug ein Bericht des bayer. Gesandten in 
Berlin Grafen Lerchenfeld v. 18. Juli 1914, zwei Telephonate der bayer. 
Gesandtschaft in Berlin v. 31. Juli 1914 und ein Bericht der bayer. Ge- 
sandtschaft in Berlin v. 4. Aug. 1914 mitgeteilt. (Die Veröffentlichung er- 
schien z. B. im „Berl. Tagbl.“ v. 24. Nov. 1918 und in der „Bayer. Staats- 
ztg.“ v. 26. Nov. 1918.) 
Während es auf Grund dieser Publikation den Anschein hatte, als 
sei der Kriegswille des kaiserlichen Deutschland unwiderleglich bewiesen, hat 
der Geh. Legationsrat Dr. v. Schoen, der Verfasser des Berichtes v. 18. Julie 
1914, in einem „Die Entstellung der Wahrheit durch Eisner“ belitelten 
Artikel in der „Deutsch. Allg. Ztg.“ v. 2. Aug. 1919 Nr. 367 überzeugend 
dargelegt, daß die Gesandtschaftsberichte, insbesondere der Bericht v. 18. Juli 
1914, von Eisner in tendenziöser Weise gekürzt wurden, indem dieser alle 
die Stellen wegließ, aus denen sich ergibt, daß die Reichsleitung auf die 
Lokalisierung des Konfliktes zwischen Oesterreich und Serbien hinarbeitete 
und ernstlich bestrebt war, den Ausbruch eines europäischen Krieges hintan- 
zuhalten. Eine weitere Fälschung (oder grobe Flüchtigkeit) bestand darin, 
daß der Bericht v. 18. Juli dem bayer. Gesandten Grafen Lerchenfeld zu- 
geschrieben wurde, während er in Wirklichkeit, wie am 25. Nov. durch das. 
„WTB.“ festgestellt wurde, von dem Geschäftsträger Dr. v. Schoen herrührte. 
Im Folgenden werden die von Eisner verwerteten Schrift- 
stücke nach ihrem vollen Wortlaut mitgeteilt, wobei die von Eisner 
unterdrückten Stellen in kursiver Schrift wiedergegeben sind. 
1. Bericht des bayer. Geschäftsträgers Dr. v. Schoen an 
Graf Hertling v. 18. Juli 1914. 
Auf Grund von Rücksprachen, die ich mit Unterstaatssekretär Zimmer- 
mann, ferner mit dem Balkan= und Dreibundreferenten im Ausw. Amt 
und mit dem österr.-ung. Botschaftsrat dahier hatte, beehre ich mich, 2% Erxz. 
Nber die von der Gsker-.-#69. Regierung beabsichtigte Aauseinandersetæung 
mit Serbien nachstehendes gekorsayst zu berichten: Der Schritt, den das 
Wiener Kabinett sich entschlossen hat, in Belgrad zu unternehmen und der 
in der Ueberreichung einer Note bestehen wird, wird am 25. d. M. erfolgen. 
Die Hinausschiebung der Aktion bis zu diesem Zeitpunkt hat ihren Grund 
darin, daß man die Abreise der Herren Poincaré und Viviani von Peters- 
burg abwarten möchte, um nicht den Zweibundmächten eine Verständigung 
über eine etwaige Gegenaktion zu erleichtern. Bis dahin gibt man sich in 
Wien durch die gleichzeitige Beurlaubung des Kriegsministers und des Chefs 
des Generalstabs den Anschein friedlicher Gesinnung und auch auf die Presse 
und die Börse ist nicht ohne Erfolg eingewirkt worden. Daß das Wiener 
Kabinett in dieser Beziehung geschickt vorgeht, wird hier anerkannt, und 
man bedauert nur, daß Graf Tisza, der anfangs gegen ein schärferes Vor- 
gehen gewesen sein soll, durch seine Erklärung im ungarischen Abgeordneten- 
haus den Schleier schon etwas gelüftet hat. Wie mir Herr Zimmermann 
sagte, wird die Note, soweit bis jetzt feststeht, folgende Forderungen ent- 
halten: 1. Den Erlaß einer Proklamation durch den König von Serbien,
	        
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