Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

2. Jur Schuldfratge am Ausbruch des Weltkriezes. 767 
waltig und entscheidend. Drittens unternehmen Sie die ersten Schritte zur 
Berufung einer bayer. oder deutschen Kommission, die die verheerten Ge- 
biete Frankreichs und Belgiens besuchen und Ihrem Ministerium unver- 
züglich darüber Bericht erstatten sollte. Ich bitte Sie, kühn, offen und un- 
verzüglich zu handeln, nicht nur Deutschlands, sondern der Zivilisation und 
der Menschheit wegen.“ 
Seiner Unzufriedenheit mit der ausw. Politik der Reichsregierung hat 
Ministerpräsident Eisner auch auf der Konferenz der Bundesstaatenvertreter 
in Berlin am 25. Nov. (s. Tl. 1 S. 519) Ausdruck gegeben. Der Widerstand, 
dem er bei den Vertretern des Ausw. Amtes begegnete, veranlaßte ihn zu 
Einem vorübergehenden Abbruch der Beziehungen zum Ausw. Amt (s. Tl. 1 
S. 523). Da auch die öffentliche Meinung Bayerns Eisner die Gefolgschaft 
verweigerte, so sah sich dieser alsbald gezwungen, seinen radikalen Stand- 
punkt wesentlich zu mildern (s. Tl. 1 S. 539 f.). 
Die von P. Dirr gemachten Feststellungen über die Entstehung der 
Eisnerschen „Schulddokumente“ und ihre wissenschaftliche Wertlosigkeit sind 
durch den Verlauf des von dem ehemaligen Sekretär Eisners, Felix Fechen- 
bach, gegen den Herausgeber der „Süddeutschen Monatshefte“, Prof. Coss- 
mann, u. Gen. angestrengten Beleidigungsprozesses, der vom 27. April 
bis 11. Mai 1922 vor dem Amtsgericht München 1 zum Austrag kam, voll- 
auf bestätigt worden. Gleichzeitig wurde dadurch aufs neue erhärtet, daß 
vor allem die Enthüllungen Eisners von den Alliierten Mächten dazu ver- 
wendet wurden, die von ihnen erhobene Schuldanklage gegen Deutschland 
zu beweisen und dadurch den Versailler Gewaltfrieden zu rechtfertigen. Die 
Beleidigungsklage gründete sich auf eine Bemerkung Prof. Cossmanns im 
Juliheft 1921 der „Süddeutschen Monatshefte“, Frau Eisner sage, ihr 
Mann habe die Fälschung des Berichtes v. 18. Juli 1914 gar nicht gemacht, 
sondern sein Sekretär Fechenbach. Ihr Mann habe nur seinen Namen dar- 
unter gesetzt. Gegenstand des Prozesses waren folgende zwei Fragen: 1. Liegt 
eine Fälschung vor und war diese Fälschung von nachteiligen Folgen für 
den Friedensschluß? 2. Hat der Privatkläger die Fälschung begangen? 
Durch das Ergebnis der umfangreichen Verhandlungen wurde die erste 
Frage bejaht, die zweite verneint. Von entscheidender Wichtigkeit für die 
Beurteilung des ersten Teiles der ersten Frage waren außer den Aussagen 
der deutschen Sachverständigen die von wissenschaftlichen Autoritäten des 
Auslands erstatteten Gutachten, die übereinstimmend zu dem Ergebnis ge- 
langten, daß die von Eisner veröffentlichte Fassung des Schoenschen Be- 
richtes als eine Fälschung des Originaldokumentes angesehen werden muß. 
So urteilte Edouard Dujardin, Prof,. der Geschichte an der Sorbonne in 
Paris, u. a.: „Nach vollständiger Wiedergabe aller Stellen des Berichtes 
des Herrn v. Schoen, die die Mitwirkung der deutschen Regierung bei der 
Note, die an Serbien gerichtet werden sollte, betreffen, hat die Person, die 
den Bericht des Herrn v. Schoen in der „Bayer. Staatsztg.“ veröffentlichte, 
neben anderen Stellen nicht gewissen diplomatischen Wortkram ausgelassen 
— dessen Auslassung hätte sich allenfalls verstehen lassen —, sondern ge- 
rade die wesentlichen Stellen, wo die deutsche Regierung als entschlossen 
dargestellt war, einerseits den Konflikt zu lokalisieren, anderseits sich jeder 
Mobilmachung ihrer Truppen zu enthalten und auf Oesterreich einzuwirken, 
daß dieses sich einer Gesamtmobilmachung enthalte. Diese Person hat also 
nicht die Fälschung begangen, die darin bestände, ein Wort zu verändern; 
aber sie hat jene unendlich schwerere begangen, die darin besteht, den Sinn 
eines Zeugnisses zu fälschen, indem man einen wesentlichen Teil davon. 
ausläßt. Das ist nicht die unbedachte Lüge eines Gassenbuben, das ist die 
Betrügerei eines Escobar. Zusammenfassend ist meine Ansicht die, daß der
	        
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