2. Zur Schuldfratze am Ausbruch des Welttriezes. 769
letzte Schleier von den Geheimnissen dieses Weltkrieges gerissen wird, jenen
Bericht des Vertreters des Grafen Lerchenfeld, des Herrn v. Schoen, an
den Grafen Hertling, in dem nun in aller Behaglichkeit auseinandergesetzt
wird, wie man beabsichtigte, den Weltkrieg zu entfesseln. Damit wollte ich
die Kontrerevolution, die regierende Kontrerevolution, in die Luft sprengen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob Eisner vielleicht im Hinblick auf die von
ihm verfolgten Zwecke die Bedenken gegen die Art der Veröffentlichung
übersah oder nicht, die Art der Veröffentlichung hat er — vielleicht mit Aus-
nahme der unrichtigen Bezeichnung des Verfassers des Berichtes v. 18. Juli
1914 — bewußt und absichtlich gewählt. Die Veröffentlichung Eisners ist
somit eine Fälschung im wahren Sinne des Wortes. Die zur Frage der
Fälschung gehörten Zeugen und Sachverständigen nennen alle in schrift-
lichen Erklärungen die Veröffentlichung ebenfalls eine Fälschung. Die Ver-
öffentlichung ist eine amtliche Veröffentlichung, die Fälschung ist deshalb
auch eine amtliche Fälschung. Die Fälschung wird nicht dadurch aus-
geschaltet, daß am Eingang der Veröffentlichung ausgeführt ist: „Vorerst
seien aus den Berliner Gesandtschaftsberichten des Grafen Lerchenfeld einige
Einzelheiten mitgeteilt“, und daß im Texte der Veröffentlichung mehrfach
Teile der Berichte und der Fernsprechmeldungen auch in äußerlich erkenn-
barer Weise zusammengefaßt wiedergegeben werden. Wenn der Minister-
präsident und Minister des Aeußern von Bayern, des zweitgrößten Bundes-
staates des Deutschen Reiches, unter der Mitteilung, er habe bei der
Reichsregierung den Antrag gestellt, die Akten über den Kriegsursprung zu
veröffentlichen, und unter der tönenden Begründung, diese Anregung sei
durch die Einsicht veranlaßt gewesen, daß nur durch die volle Wahrheit
jenes Vertrauensverhältnis zwischen den Völkern hergestellt werden könnte,
das Voraussetzung für einen Frieden der Völkerversöhnung ist, während
des Waffenstillstands und vor Friedensschluß aufklärende Beiträge zur Vor-
geschichte des Weltkriegs aus den diplomatischen Urkunden des bayerischen
Dienstes zu veröffentlichen unternimmt, so erwartet die aufhorchende Welt
und muß erwarten: Die diplomatischen Urkunden werden ihrem vollen
Wortlaut nach veröffentlicht. Wird von der Veröffentlichung des vollen
Wortlautes abgesehen, so wird mindestens alles, was bedeutungsvoll ist,
gebracht werden, besonders wesentliche Stellen nicht unterdrückt. Es werden
nicht den Sinn färbende Sperrungen des Druckes vorgenommen. Es wird
der Sachverhalt so erschöpfend wiedergegeben, daß der Leser sich selbst ein
Urteil bilden kann, und nicht so gekürzt, daß er die unrichtige Meinung
des Ministerpräsidenten zu stützen geeignet ist. Kurz, es unterbleibt jede,
eine falsche, ja auch nur eine schiefe Auffassung des Inhalts der Aktenstücke
zulassende Art der Wiedergabe. Die Fälschung wird auch dadurch nicht
entschuldigt, daß die Raumnot der Zeitungen Kürzungen verlangt. Die
Veröffentlichung war eine derart wichtige Sache, daß, wenn Raumnot be-
stand, andere weniger bedeutende Dinge zurückgestellt werden mußten. Die
Fälschung wird endlich auch damit nicht aus der Welt geschafft, daß die
Meinung vertreten wird, die deutsche, die bayerische Diplomatie habe ein
System der doppelten Buchführung gehabt, in dem Sinne, daß in offiziellen
Berichten die Dinge nicht immer so dargestellt wurden, wie sie waren, in
privaten Berichten dagegen die Wahrheit gesagt wurde, der Bericht v.
18. Juli 1914 bringe, weil offizieller Bericht, also nicht die volle Wahrheit.
Wie die unter Eid vernommenen, die Gepflogenheiten des deutschen und
des bayerischen Diplomatendienstes kennenden Zeugen Graf v. Soden,
Staatsrat v. Lößl, Dr. Dirr, Graf Monts, Dr. Fischer, Dr. Thimme und
Dr. Lepsius ausdrücklich und überzeugend bekunden, hat es eine doppelte
Buchführung in diesem Sinne nie gegeben. Die von dem Privatkläger vor-
Europäischer Geschichtskalender. LIX. 49