Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

2. Zur Schuldfratze am Ausbruch des Weltkriegzes. 777 
Minister von den Beziehungen zwischen Rußland und England sprach und 
ihn darauf hinwies, wie nützlich eintretendenfalls vorherige militärische Ab- 
machungen zwischen den Regierungen sein würden. Es handle sich zunächst 
darum, der Kaiserlichen Regierung von beiden Seiten die zwei vertraulichen 
und geheimen Schriftstücke mitzuteilen, die im Jahre 1912 zwischen der 
franz. und engl. Regierung ausgetauscht worden seien. Sir Edward hob 
hervor, daß der Wortlaut dieser Schriftstücke zeige, daß zwischen den beiden 
Mächten kein Bündnis geschlossen sei. Sie bezweckten vielmehr in erster 
Linie, den Inhalt der militärischen Abmachungen in das rechte Licht zu 
setzen, die vorher zwischen den Armee- und Marinebehörden für den Fall 
vereinbart worden seien, daß sich die Notwendigkeit eines aktiven Zusammen- 
wirkens der engl.-franz. See= und Landstreitkräfte ergebe. Sir Edward 
hob hervor, daß ein sofortiges Zusammenwirken ohne solche vorherigen 
Abmachungen selbst beim besten Willen und trotz der engen politischen 
Entente beider Regierungen gefährlichen technischen Schwierigkeiten be- 
gegnen würde. Er fügte hinzu, daß von seiten Englands nichts im Wege 
stünde, ein Abkommen in demselben Geiste, wie er in dem Schriftwechsel 
zwischen Herrn Cambon und ihm zum Ausdruck komme, zwischen dem 
russ. und engl. Admiralstabe zu verhandeln und abzuschließen. Er sehe 
hierin dieselben praktischen Vorteile, wie er sie in den Abmachungen mit 
Frankreich erblickt habe. Er teilte uns mit, daß er an ein Marineabkommen 
denke, weil dies nach Lage der Verhältnisse das Gegebene sei, und weil er 
im übrigen zu wissen glaube, daß dies auch den Wünschen der Kaiserlichen 
Regierung entspreche. Daraufhin übergab mir Sir Edward Grey eine 
Abschrift des Schreibens, das er am 22. Nov. 1912 dem franz. Bot- 
schafter ausgehändigt hat, und Herr Cambon übergab mir mit Ermächtigung 
seiner Regierung seinerseits eine Abschrift des Schreibens, das er am 
Tage darauf an Sir Edward Grey gerichtet hat. Auf meine Frage er- 
klärte mir Sir Edward, das Zweckmäßigste wäre, unseren Marineattaché 
zu ermächtigen, mit dem engl. Admiralstab in Verbindung zu treten. Der 
Erste Lord der Admiralität sei, wie seine Kollegen im Kabinett, von dem 
Plane unterrichtet. Der engl. Admiralstab besitze die Abkommen, die be- 
züglich der Marine von Frankreich und England gemeinsam ausgearbeitet 
worden seien. Was die übrigen Abmachungen betreffe, so sei es Sache 
Frankreichs, unseres Bundesgenossen, davon den Gebrauch zu machen, den 
es für wünschenswert hielte. Indem ich Sir Edward für seine freundschaftliche 
Gesinnung dankte, beschränkte ich mich darauf, zu erwidern, daß ich Euerer 
Exzellenz sofort die Abschriften der beiden Schriftstücke übermitteln und 
Ihnen genauen Bericht erstatten würde über das, was er mir bei Ueber- 
reichung seines Schreibens gesagt habe. 
Als Anlagen zu seinem Berichte vom 10./23. Mai fügte Graf Bencken- 
dorff die Note Greys v. 22. Nov. 1912 und die Antwortnote P. Cambons 
v. 23. Nov. 1912 bei, welche von der engl. Regierung dem Parlament bei 
Kriegsausbruch mitgeteilt worden sind. (Den Wortlaut der Noten f. im 
Gesch Kal. Jahrg. 1914 S. 408f.) 
Die „Dtsch. Allg. Ztg.“ v. 23. Dez. 1918 (Nr. 652) schreibt: Durch 
die Noten v. 22. u. 23. Nov. 1912 waren die viel älteren militärischen Ab- 
machungen zwischen England und Frankreich sanktioniert worden. Der 
Wortlaut dieser militärischen Vereinbarungen liegt uns nicht vor, es ist 
aber bekannt, daß sie sehr umfangreich waren und die gemeinsamen Ope- 
rationen der verbündeten Streitkräfte bis in alle Einzelheiten regelten. 
Ueber ihren Inhalt glauben wir zu wissen, daß, was die Operationen zur 
See anlangte, die englische Flotte den Schutz der Nordsee, des Kanals und 
des Atlantischen Ozeans übernehmen sollte, um Frankreich die Möglichkeit
	        
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