Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

780 Auhans I. Biplomatische Enthũlungen. 
konvention uns gestattet, uns im westlichen Mittelmeer auf die franz. Häfen 
zu stützen. Sollte im Zusammenhang mit der Lage im Mittelmeer die 
Rede auf die Meerengen kommen (Bosporus und Dardanellen), so wären 
die politischen Fragen über den Bosporus und die Dardanellen nicht zu 
berühren, sondern nur zeitweilige Operationen in den Meerengen als eine 
unserer strategischen Operationen im Kriegsfalle ins Auge zu fassen. Außer- 
dem erkannte die Konferenz als wünschenswert an, daß durch das geplante 
Marineabkommen zwischen uns und England die Ordnung der Beziehungen 
zwischen unseren und den engl. Streitkräften auf See in allen Einzelheiten 
festgesetzt werde. Zu diesem Zwecke wird es notwendig sein, sich über Signale 
und Spezialchiffern zu verständigen, über Radiotelegramme und den Modus 
des Verkehrs zwischen den russ. und engl. Marinestäben. Es ist außerdem 
notwendig, daß unser Marineressort und das englische vereinbaren, Nach- 
richten sowohl über die Flotten dritter Mächte, wie auch über ihre eigenen 
Flotten und speziell über technische Einzelheiten, über von der Marine an- 
genommene Geräte und Erfindungen einander mitzuteilen. Nach Ansicht 
der Konferenz müßte auch nach Muster der franko-russ. Marinekonvention 
vereinbart werden ein periodischer Meinungsaustausch zwischen den Chefs 
unseres und des engl. Admiralstabes zur Beurteilung der Fragen, welche 
die Marineministerien beider Staaten interessieren und zur Prüfung der 
gemeinsam getroffenen Maßregeln. . 
Die „Dtsch. Allg. Ztg.“ v. 27. Dez. 1918 (Nr. 657) schreibt: Das 
engl.-russ. Marineabkommen ist vor Kriegsausbruch nicht mehr zum Abschluß 
gelangt. Wie weit die Verhandlungen zwischen dem engl. und russ. Admiral- 
stab gediehen sind, ist nicht bekannt. Der russ. Marineattaché in London 
berichtete nach seiner Rückkehr aus Petersburg, er sei mit dem Prinzen 
Battenberg zusammengekommen und habe festgestellt, daß es die engl. Re- 
gierung mit dieser Angelegenheit nicht besonders eilig habe und daß das 
Drängen zum schnellen Abschluß von Frankreich ausgehe. 
Als Abschluß unserer Veröffentlichungen über die geheimen engl.--russ. 
Verhandlungen vom Mai und Juni 1914 bringen wir noch einen Bericht 
des Grafen Benckendorff. 
Benckendorff an Ssasonow. 
London, den 29. Mai/11. Juni 1914. 
Ich habe gestern Grey davon benachrichtigt, daß Kapitän Wolkow aus 
Petersburg zurückgekehrt sei, ausgestattet mit allem, was nötig sei, um Ver- 
handlungen mit dem Admiralstab zu beginnen, und mit der Ermächtigung, 
in dieselben einzutreten. Grey antwortete mir, er werde unverzüglich den 
Ersten Lord der Admiralität hiervon verständigen. Bei dieser Gelegenheit 
sagte mir Grey, daß recht ungelegenerweise Indiskretionen über diese An- 
gelegenheit vorgekommen seien, und daß zunächst die Presse Deutschlands, 
sodann die anderer Länder sich damit befaßt habe. Er sagte mir, daß er 
dies lebhaft bedauere, zumal er gezwungen sein werde, auf eine diesbezüg- 
liche Frage zu antworten, die ihm im Unterhaus gestellt werden würde. 
Ich erwiderte ihm, daß ich ebenso wie er auf das lebhafteste solche In- 
diskretionen bedauerte, die allzu häufig vorzukommen schienen. Ich sagte, 
ich sei überzeugt, daß Euere Exzellenz diese Ansicht teilten, und verständigte 
ihn davon, daß die „Nowoje Wremja“ ein bezügliches Dementi gebracht 
habe. Grey, dem dies nicht bekannt war, war sehr zufrieden und bat mich, 
ihm den Wortlaut zugehen zu lassen. Er skizzierte mir dann die Antwort, 
die er im Unterhaus geben und die sowohl unsere Verhandlungen wie die- 
jenigen, die mit Frankreich stattgefunden hätten, verschleiern solle. Ich er- 
klärte mich von der in Aussicht genommenen Behandlung der Angelegen- 
heit befriedigt. 
  
  
 
	        
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