Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

2. Jur Schuldfrage am Ausbruch des Welttriezes. 783 
Die „Köln. Ztg."“ v. 21. März 1918 (Nr. 271) teilt mit, daß der 
frühere Botschafter des Zaren in Washington Baron Rosen einem Ver- 
treter des „Manchester Guardian“ gegenüber folgendes ausgeführt hat: Als 
einer, der Einblick in die inneren Gründe der zaristischen Diplomatie hatte, 
wußte ich seit 1912, daß der Krieg kommen würde. Hinter den Gardinen 
der russ. Geheimdiplomatic sah ich, daß der Krieg durch die von unten 
anschwellende Flut der Revolution unvermeidlich wurde. Eine Minister- 
ekligue am Zarenhofe wußte, daß ihre einzige Hoffnung, die Revolution zu 
verhindern, darin bestehe, die Heere marschieren zu lassen. 
5. Protokoll der Geheimberatung der russ. Regierung v. 8./21. Febr. 
1914 betr. den Plan der Eroberung Konstantinopels und der Meer- 
engen. („Dtsch. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 174.) 
Die Gorkische Ztg. „Nowaja Shisnj“ v. 19. Febr. 1918 schreibt: 
Das von uns unten veröffentlichte ganz geheime Dokument: „Das Protokoll 
der besonderen Beratung v. 8.21. Febr. 1914“ — beweist, daß Rußland 
sich nicht weniger gründlich zum Weltkriege vorbereitet hat als die anderen 
Mächte, obgleich es ihm tatsächlich nicht gelang, seine Annexionspläne zu 
verwirklichen. Die ganz geheime Sitzung v. 21. Febr. fand fünf Monate 
vor Beginn des Weltkrieges statt. Auf dieser Sitzung ist der Plan der 
Eroberung Konstantinopels und der Meerengen ausgearbeitet worden. Dabei 
wurde in Aussicht genommen, daß diese Operation im Rahmen eines all- 
gemeinen europäischen Krieges vorgenommen werden sollte, und die Rollen 
Serbiens, Bulgariens, Griechenlands, Rumäniens und anderer Staaten 
waren im voraus verteilt. Es waren bestimmte Beschlüsse gefaßt worden 
und das Protokoll der Sitzung wurde Nikolai II. zur Bestätigung vorgelegt. 
Auf dem Original befindet sich die eigenhändige, stereotype Aufschrift 
Nitkolais II.: „Die Beschlüsse der Beratung heiße ich in vollem Umfange 
gut.“ Deshalb sind die angenommenen Beschlüsse nicht platonische Träume 
irgendwelcher einzelner utopistischer hoher Staatsbeamten, sondern stellen im 
Gegenteil das reale Aktionsprogramm der russ. Regierung dar. Charakteristisch 
ist, daß einige Teilnehmer an der Beratung, welche die Annexionspläne 
ausgearbeitet hatten, nicht nur in ihren Stellungen verblieben sind, 
sondern unter der Regierung Kerenskis sogar eine Rangerhöhung erhalten 
haben. Diese sind: General Awerjanow, der Kapitän Nemitz, der Gehilfe 
des späteren Ministers des Auswärtigen Tereschtschenko Neratow u. a. 
Hier der Text dieses historischen Dokuments: 
Protokoll der besonderen Beratung v. 8. Febr. 1914. 
Vorsitzender: Minister des Aeußern Hofmeister Ssasonow. Teilnehmer: 
der Marineminister Generaladjutant Grigorowitsch, der Chef des General- 
stabs General der Kavallerie Shilinskij, der Kaiserl. Botschafter in Kon- 
stantinopel Hofmeister Giers, der Gehilfe des Ministers des Aeußern 
Hofmeister Neratow, der Generalquartiermeister des Generalstabs General- 
leutnant Danilow, der zweite Oberquartiermeister des Generalstabs General- 
major Awerjanow, der zeitweilige Verweser des Marinestabes Kapitän 
I. Ranges Nenjukow, der Chef der Abteilung des Ministers des Aeußern 
für den nahen Osten Kammerherr Fürst Trubetzkoi, der Chef des zweiten 
operativen Teils des Marinestabes Kapitän II. Ranges Nemitz. Anwesend und 
mit der Zusammenstellung des Protokolls betraut waren: der Gehilfe des 
Chefs der Abteilung für den nahen Osten Kammerherr Bützow und der 
Vizedirektor der Kanzlei des Ministers des Aeußern Kammerherr Basili. 
Nach Eröffnung der Sitzung erinnert der Minister des Aeußern die 
Mitglieder der Beratung daran, daß in dem ihnen bekannten, im Nov. an
	        
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