Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

784 Auhans I. Biploemstische Euthüllungen. 
Allerhöchster Stelle vorgelegten Memorandum er, der Minister, es für seine 
Pflicht gehalten habe, dem Kaiser folgende Erwägung zu unterbreiten: Im 
Zusammenhang mit der Veränderung der politischen Lage müsse vielleicht 
schon in naher Zukunft die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, daß Ereig- 
nisse eintreten können, die die internationale Lage der Meerengen von 
Konstantinopel von Grund auf verändern; es sei deshalb notwendig, unter 
Mitarbeit der entsprechenden Behörden unverzüglich zur Ausarbeitung eines 
allseitigen Aktionsprogramms zu schreiten, um eine für uns (d. h. Rußland). 
günstige Lösung der historischen Meerengenfrage sicherzustellen. S. D. Ssa- 
sonow teilt hierauf mit, daß der Kaiser geruht habe, die in diesem 
Memorandum dargelegten Erwägungen gutzuheißen und dabei zu geneh- 
migen, daß dasselbe von einer besonderen Kommission durchberaten werde. 
Obgleich der Minister des Aeußern im gegenwärtigen Moment erhebliche 
politische Verwicklungen für wenig wahrscheinlich halte, meint er, daß man 
trotzdem selbst in der nächsten Zukunft für die Erhaltung des gegenwärtigen 
Zustandes im nahen Osten keine Gewähr übernehmen könne. Dabei drückt 
S. D. Ssasonow die feste Ueberzeugung aus, daß, falls kraft der Ereignisse 
die Meerengen der Herrschaft der Türkei entzogen werden sollten, Rußland 
nicht zulassen könne, daß sich an ihren Ufern irgendeine andere Macht 
festsetze, und daß es deshalb vielleicht gezwungen werden könnte, sie zu be- 
setzen, um alsdann die seinen Interessen entsprechende Ordnung der Dinge 
am Bosporus und in den Dardanellen in dieser oder jener Form durch- 
zuführen. Da der Erfolg dieser Operation in erheblichem Maße von ihrer 
schnellen Durchführung abhängt, weist der Minister auf die Notwendigkeit 
hin, außer einer Flottenaktion auch eine Landungsoperation zur Lösung 
der Frage vorzusehen. An die Mitglieder der Versammlung richtet S. D. 
Ssasonow deshalb die Bitte, festzustellen, was bereits zur Vorbereitung 
unseres (des russ.) Vorgehens gegen die Meerengen geschehen sei und was 
noch geschehen könne und geschehen müsse. 
Auf Vorschlag des Ministers des Aeußern wendet sich die Versammlung 
der Beratung der Frage über eine Landungsarmee, ihre Zusammensetzung 
und ihre Mobilisierung zu. Der Chef des Generalstabes weist in erster Linie 
darauf hin, daß es einer erheblichen Anzahl von Truppen bedürfe, um in 
den Besitz der Meerengen zu gelangen. Die Anzahl sei abhängig von der 
politischen und strategischen Lage während der Durchführung der Operation. 
Der General der Kavallerie Shilinskij erklärt, daß die Frage, welche 
Truppenteile für eine Landung verwandt werden können, dahin beantwortet 
werden müsse, daß die der Landungsstelle nächstliegenden Truppenkontingente 
dafür bestimmt seien, und zwar diejenigen, die sich im Rayon von Sewastopol 
und Odessa befinden, d. h. das 7. und 8. Korps. Um das Unternehmen 
mit genügenden Kräften durchzuführen, werde es wahrscheinlich notwendig 
sein, noch zwei Korps aus den inneren Militärbezirken hinzuzunehmen. Der 
Chef des Generalstabes weist alsdann darauf hin, daß der erste Echelon 
der Landungsarmee, der gleichzeitig landen müßte, nicht weniger als ein 
Korps betragen dürfe, d. h. 30—50000 Mann, da eine geringere Anzahl 
von Truppen leicht zurückgeschlagen werden könnte. Dabei machte Shilinskij 
den Vorbehalt, daß ein Korps für den ersten Echelon nur unter der günstigen 
Bedingung genügen dürfte, wenn kein größerer Widerstand zu erwarten 
sei. Die erste Gruppe der Landungsarmee soll aus einem kombinierten 
Korps, das aus den Téteformationen des 7. und 8. Korps gebildet wird, 
bestehen, und zwar aus der in Sewastopol und Simferopol garnisonierenden 
13. Division und der in Odessa stehenden 15. Division und der 4. Schützen- 
brigade. Unter Bezugnahme auf den erwähnten Zusammenhang zwischen 
der für die Besitzergreifung der Meerengen erforderlichen Armeestärke und
	        
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