Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

792 Anhaug I. Biplematiscte Guthülunzen. 
franz. Regierung im Hinblick auf einen künftigen Frieden Vorschläge zu 
erhalten, welche, an die Adresse Oesterreich-Ungarns gerichtet, so geartet 
wären, daß sie von Oesterreich-Ungarn bei der Berliner Regierung unter- 
stützt werden könnten.“ Bittsteller und Nichtgebetener, gibt also Graf 
Revertera mit diesen Worten zu, daß es sich darum handelte, von der franz. 
Regierung Friedensvorschläge zu erhalten, die an Oesterreich-Ungarn adressiert 
und für Berlin bestimmt sein sollten. Dies ist der durch ein authentisches 
Dokument festgestellte Sachverhalt, welchen Graf Czernin mit folgenden 
Worten umzudeuten wagt:. „Clemenceau hat einige Zeit vor Beginn der 
Westoffensive bei mir angefragt, ob ich zu Verhandlungen bereit sei und 
auf welcher Basis.“ Indem er so sprach, hat Graf Czernin nicht nur nicht 
die Wahrheit gesagt, sondern das Gegenteil der Wahrheit, was wir in 
Frankreich „lügen“ nennen. Es ist nur zu natürlich, daß Herr Clemenceau 
seine Entrüstung nicht zurückhalten konnte, als er sah, daß Graf Czernin, 
der über die schließlichen Folgen der Offensive mit Recht besorgt war, in 
so kühner Weise die Rollen vertauschte, und die franz. Regierung so hin- 
stellte, als ob sie in derselben Stunde um den Frieden gebettelt habe, in 
welcher wir uns mit unseren Verbündeten anschickten, den Mittelmächten 
die letzte Niederlage zuzufügen. Es wäre zu leicht, daran zu erinnern, bis 
zu welchem Grade Oesterreich-Ungarn mit seinen Bitten um einen vorgeb- 
lichen Separatfrieden Rom, Washington und London ermüdet hat, welche 
Bitten keinen anderen Zweck hatten, als unter das Joch zu locken, unter 
dem es nach seinem eigenen Geständnis steht. Wer kennt nicht die Geschichte 
der auch in der Schweiz erfolgten jüngsten Zusammenkunft eines früheren 
Botschafters Oesterreich--Ungarns mit einer hohen Personlichkeit der Entente? 
Diese Konferenz dauerte nicht mehr als einige Minuten. Auch diesmal war 
es nicht unser Verbündeter, sondern die österr.-ung. Regierung, welche die 
Zusammenkunft erbeten hatte. Könnte sich Graf Czernin nicht an einen 
anderen Versuch der gleichen Art erinnern, welcher nur zwei Monate vor 
der Unternehmung Reverteras durch eine im Range weit über ihm stehende 
Persönlichkeit in Paris und London gemacht worden ist? Auch hier ist, 
wie im gegenwärtigen Falle, ein authentisches, aber noch bezeichnenderes 
Beweisstück vorhanden. 
Zum Kommunicqué des Ministerratspräsidiums gibt der ehem. Minister- 
präsident Painlevé am gleichen Tage der „Humanité“ nachstehende Er- 
klärung ab: Im Laufe des Jahres 1917 wurden von Oesterreich-Ungarn 
mehrere Versuche gemacht, offiziöse Gespräche mit Persönlichkeiten der 
Entente einzuleiten. Insbesondere wurde im Juni 1917 von der Zweiten 
Abteilung gemeldet, daß eine österr. Persönlichkeit, der Graf Revertera, durch 
Vermittlung eines Schweizers zu wiederholten Malen darauf gedrungen 
habe, eine private Unterredung mit einem entfernten Verwandten von ihm, 
dem Major Armand, Offizier in der Zweiten Abteilung, zu haben. Nach- 
dem der damalige Ministerpräsident Ribot hiervon benachrichtigt worden 
war, trafen Revertera und Major Armand im August 1917 zusammen. 
Hiermit hatte es sein Bewenden. Es fand im August keine weitere Zu- 
sammenkunft statt, und ich habe keine Kenntnis, daß bis zum 13. Nov. 1917, 
dem Datum des Rücktritts meines Kabinetts, eine andere Zusammenkunft 
stattgefunden hätte. Das, was sich nachher ereignet hat, entzieht sich selbst- 
verständlich meiner Beurteilung; doch nehme ich nach den Erklärungen des 
Ministerpräsidenten an, daß es Revertera war, der auf die Sache wieder 
zurückgekommen ist. 
Am 7. wird weiter in Wien amtlich verlautbart: Gegenüber der 
ersten kurzen Erklärung Herrn Clemenceaus, mit welcher dieser den Grafen 
Czernin der Lüge geziehen hatte, wird dem nunmehr vorliegenden Kom-
	        
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