Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

EEEIEI(ItŸIIILIIIIIIIIIIIIII 
Pragmatischen Sanktion. Das künftige Verhältnis zu Ungarn werde auf 
Grund der gleichmäßigen Wahrnehmung der beiderseitigen Interessen ge— 
staltet werden. Zum Schlusse erklärt er, wenn es auch schwer falle, sich 
vom alten Oesterreich zu trennen, dürfte man sich mit dem Bewußtsein 
trösten, daß der Grundgedanke Oesterreichs und seine geschichtliche Sendung 
unzerstörbar und das Glück und die Zukunft seiner Völker höher zu stellen 
seien als die vertraute und ans Herz gewachsene Form. 
Das Herrenhaus beschließt, über die Erklärung des Ministerpräsidenten 
in der nächsten Sitzung die Erörterung zu beginnen. 
21. Okt. (Wien.) Konstituierung der Prov. Deutschösterr. 
Nationalversammlung. 
Im Sitzungssaale des niederösterr. Landhauses treten die Abg. der 
deutschen Wahlbezirke Oesterreichs zur Vollversammlung zusammen. Alle 
Parteien sind vertreten. Der Obmann der Deutschnat. Abg. Dr. Waldner 
übernimmt den Vorsitz und eröffnet die Versammlung mit einer Ansprache, 
in der er ausführt: Im Auftrag aller deutschen Parteien habe ich alle 
deutschen Reichsratsabg zur heutigen Vollversammlung einberufen, damit 
sie auch für das deutsche Volk in Oesterreich als seine gewählte Gesamt- 
vertretung das Recht auf Selbstbestimmung und eigene, unabhängige Staat- 
lichkeit feierlich erklären und für den Staat Deutschösterreich in einer zu 
konstituierenden Nationalversammlung die grundlegenden Beschlüsse fassen. 
Wie die schicksalsschwere Zeit schon die Vertreter aller deutschen Parteien 
zusammengeführt und zu Einheitsbeschlüssen vereinigt hat, so wird sich auch 
die heutige denkwürdige Versammlung aller deuschen Vertreter von der Seele 
unseres Volkes und von dem einzigen Geist erfüllt zeigen, einmütig die 
staatliche Zukunft unseres Volles auf seinem Siedlungsgebiete sicherzustellen. 
Die Geschichte hat uns auf den Boden, den wir bewohnen, gestellt, unsere 
Vorfahren haben diesen Boden in ungezählten Kämpfen mit ihrem Blute 
verteidigt, unsere Söhne haben in diesem Weltbrand in Treue ihr Blut 
für ihn vergossen: es gibt kein stärkeres Recht als das Recht unseres Volkes 
auf das Gesamtgebiet seiner Siedlung. Die Geschichte hat uns zum Gründer 
des alten Staates Oesterreich gemacht, und wir haben diesem Staate durch 
die Jahrhunderte in unverbrüchlicher Treue und in selbstloser Aufopferung 
unser Bestes an Kultur und Wirtschaft hingegeben. Ohne Dank scheiden 
wir nun aus diesem Staate, um unsere Volkskraft auf uns allein zu stellen 
und aus ihrem unversiegbaren Born hoffnungsvoll ein neues, nur unserem 
Volk allein dienendes Gemeinwesen aufzubauen. Die Verkettung mit dem 
alten Oesterreich war die schwere auf uns ruhende Last, welche unsere 
politische Kraft im vergeblichen Ringen verzehrte und unsere wirtschaftliche 
Kraft für volksfremde Interessen aufbrauchte. Nun im neuen Staat Staatsgeist 
und Volksgeist, Staatszweck und Volkszweck, Staatswohl und Volkswohl 
in eins zusammenfließen werden, wird auch der in jenem Zwiespalt sitzende 
Urquell der deutschen Parteiungen versiegen und in dem neuen Staate 
nicht wieder aufleben. So wird das neue Deutschösterreich aus der Tiefe 
seiner befreiten Volksseele erstehen und Staat und Volk, ein Ganzes, mit 
neuem Geist und ungehemmten Kräften sich aufrichten. Aber wir haben 
nach rückwärts noch die schwere Pflicht, bei der Aufteilung der Erbschaft 
des alten Staates, seiner Lasten und Rechte, unter die Staatserben mit- 
zuwirken und dabei unser Volk vor jeder Ungebühr zu bewahren. Und wir 
haben noch die schwerste Pflicht, unser Volk aus der Ernährungsnot zu 
befreien. Die Auflösung Oesterreichs und der Monarchie löst auch das 
Gemeingefühl und die Pflicht zur gegenseitigen Ernährungshilfe auf und 
bedroht unser Volk mit Absperrung und Isolierung. Wir werden zur Ab-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.