804 Aubansg I. Viplematiscze Guthüllungen.
die Authentizität der bedenklichen Briefstelle über Elsaß--Lothringen ab-
zuleugnen und gab sogar sein Ehrenwort, daß der Absatz über Elsaß-
Lothringen in der Clemenceauschen Veröffentlichung gefälscht sei. Von der
Kaiserin Zita wurde die Lesart vertreten, daß der Text des Briefes auf
dem Wege von Laxenburg nach Paris verfälscht worden sein müsse. Heute
ist der wahre Sachverhalt vollkommen einwandfrei festgestellt und Kaiser
Karl als wissentlicher Lügner erwiesen. Freilich ist auch seine Umgebung,
die ihn auf jene schiefe Bahn drängte, von Mitschuld nicht freizusprechen.
(Zur Sache vgl. die S. 28 angeführte Literatur.)
Der deutsche bevollmächtigte General beim k. u. k. Armeeoberkommando
A. v. Cramon erhielt von Kaiser Karl die Aufgabe übertragen, die durch
die Enthüllungen Clemenceaus bei Kaiser Wilhelm hervorgerufene Ver-
stimmung zu beseitigen. Ueber die von ihm in einer persönlichen Audienz
bei Kaiser Wilhelm vorgetragenen Vorschläge, um das geschwundene Ver-
trauen in die Bundestreue Oesterreich-Ungarns wiederherzustellen, berichtet
er a. a. O. (s. S. 28) S. 158 folgendes: (Meine) „Vorschläge gingen dahin,
daß vor allem Kaiser Karl bei Sr. Maj. um einen Besuch nachsuchen, hier-
bei um Entschuldigung bitten und in Gegenwart des Grafen Burian schrift-
lich versprechen müßte, fortan mit keiner fremden Macht ohne Vorwissen
des Deutschen Kaisers in Fühlung zu treten, geschweige denn Anerbietungen
zu machen. Auch hatte er sich zu verpflichten, die Brüder Parma aus
Frankreich abzuberufen und ihnen die Rückkehr nach Oesterreich erst nach
dem Kriege zu gestatten. Endlich müßte das Bündnis zwischen den beiden
Mächten über die Kriegszeit hinaus vertraglich festgelegt und durch wirt-
schaftliche und militärische Abmachungen gefestigt werden. Diese Vorschläge
wurden in meiner Gegenwart vom Kaiser mit den drei Kabinettchefs be-
raten und in den Grundzügen angenommen. Sie wurden später in einigen
wesentlichen Teilen gemildert.“ (Ueber den Besuch Kaiser Karls bei Kaiser
Wilhelm und die damals getroffenen Abmachungen s. Deutschland, 12. Mai.)
Ueber die innerpolitische Wirkung der Sixtusaffäre schreibt
A. v. Cramon a. a. O. S. 163 f. folgendes: „Die Sixtusbriefangelegenheit hat
der Monarchie in Oesterreich, einer Monarchie, die unerschütterlich fest-
zustehen schien, den ersten starken Stoß versetzt. Sie wirkte namentlich in
den deutschösterr. Alpenlanden überaus nachhaltig. Auch die anerkennenden
Worte, die der Kaiser am 25. Mai (s. S. 34f.) an eine ihm vom Minister-
präsidenten Seidler vorgeführte Abordnung alpenländischer Volksboten rich-
tete, vermochten den schlechten Eindruck nicht zu verwischen. Wenn ein
halbes Jahr später die Revolution mit einem einzigen Windstoß den ehr-
würdigen Habsburgerthron wegfegte, so sind die eben geschilderten Oster-
ereignisse schuld daran.“
2. Die Denkschrift des Grafen Czernin v. 12. April 1917 über
die Notwendigkeit eines baldigen Friedensschlusses.
Der frühere Minister des Auswärtigen Graf Czernin hielt am 11. Dez.
1918 in einer öffentlichen Versammlung in Wien einen aufsehenerregenden
Vortrag über die Politik im Kriege, worin er vor allem darlegt, warum
der so heiß ersehnte Friede nicht zur rechten Zeit zustande kam. Wenn auch
die Mitteilungen durch das Bestreben des Grafen, seine eigene Politik durch
Anklagen gegen die militärischen Kreise Deutschlands zu rechtfertigen, sub-
jektiv gefärbt sind, so besitzen die darin enthaltenen Enthüllungen doch
bleibenden geschichtlichen Wert. Cz. stellt zunächst fest, daß erstens seit dem
Eintritt Italiens und Rumäniens und insbesondere seit dem Eintritt Amerikas
in den Krieg der „Siegfriede“ für die Mittelmächte eine Utopie geworden
sei, die leider durch die deutschen Militärs immer genährt wurde, und