3. Zur Kriegspelitik Gelerreich-Augarne. 805
zweitens, daß die Mittelmächte niemals ein Friedensangebot von der Entente
erhalten haben. Im Prinzip hätten sich zwei Wege gezeigt, zu einem Frieden.
mit Opfern möglicherweise zu gelangen: der Weg des allgemeinen Friedens
(gemeinsam mit Deutschland" und der des Separatfriedens. Er persönlich
hätte einen Separatfrieden niemals geschlossen. Das Bündnis mit Deutsch-
land sei keines im vulgären Sinne gewesen, sondern ein Blutbündnis
zwischen den zehn Millionen Austro-Deutschen und den siebzig Millionen
Deutschen im Reiche, welches nicht zerrissen werden dürfe. Aber er leugne
nicht, daß er in Augenblicken, wo er mit seiner Politik nicht durchdringen
zu können glaubte, den Gedanken ventilierte, dem Kaiser vorzuschlagen, er
möge an seiner Stelle einen jener Männer ernennen, die in der Trennung
von Deutschland das Heil erblickten. Aber er sei immer davon abgekommen,
weil er einen Separatfrieden für unmöglich erachtet hätte. Deutschland
wäre im Falle der Trennung zu Gewaltschritten in Böhmen und Tirol ver-
anlaßt worden wie seinerzeit gegen Rumänien. Der gemeinsam begonnene
Krieg habe nicht mehr einseitig beendet werden können. Cz. erörtert dann
eine zweite Möglichkeit; es hätte gelingen können, Deutschland in das poli-
tische Geleise Oesterreich-Ungarns zu bringen und im Moment einer günstigen
militärischen Situation zu einem allerdings mit bedentenden Opfern ver-
bundenen Frieden zu bewegen. Er habe stets die größten Anstrengungen
hierzu gemacht; wenn sie alle mißlangen, so lag die Schuld nicht am
deutschen Volk, auch nicht am Deutschen Kaiser, sondern bei den führenden
deutschen Militärs, welche eine so unermeßliche Machtfülle an sich gerissen
hatten. Von Bethmann bis Kühlmann wollten alle in der Wilhelmstraße
den Frieden, aber sie konnten nichts erreichen, weil die Militärpartei einen
jeden stürzte, der sich ihr widersetzte. Cz. hebt die Persönlichkeit Ludendorffs
hervor, dessen große Gaben er anerkennt. Aber der Mann hätte eine poli-
tische Bremse gebraucht, und die habe er nie gefunden. Ihm fehlte Bismarck.
Ludendorff sei die einzige Kraftnatur in ganz Deutschland gewesen. Er sei
genau so wie die engl. und franz. Staatsmänner gewesen, sie alle hätten
kein Kompromiß, nur den Sieg gewollt. Der Verständigungsfriede, den Cz.
gewollt habe, sei an der Themse und an der Seine ebenso verworfen worden
wie bei Ludendorff.
Cz. verlas sodann folgendes Exposé, das er am 12. April 1917 Kaiser
Karl übersendet hat und das von diesem dem Kaiser Wilhelm geschickt wurde,
mit dem Bemerken, er teile seine Auffassung. „Wollen Ew. Maj. mir ge-
statten, mit jener Offenheit, welche mir vom ersten Tage meiner Ernennung
an gestattet war, meine verantwortliche Meinung über die Situation ent-
wickeln zu dürfen. Es ist vollständig klar, daß unsere militärische Kraft
ihrem Ende entgegengeht. Diesbezüglich erst lange Details zu entwickeln,
hieße die Zeit Ew. Maj. mißbrauchen. Ich verweise bloß auf das zur Neige
gehende Rohmaterial zur Munitionserzeugung, auf das vollständig erschöpfte
Menschenmaterial und vor allem die dumpfe Verzweiflung, welche sich vor
allem wegen der Unterernährung aller Volksschichten bemächtigt hat und
welche ein weiteres Tragen der Kriegsleiden unmöglich macht. Wenn ich
auch hoffe, daß es uns gelingen wird, noch die allernächsten Monate durch-
zuhalten und eine ersolgreiche Defensive durchzuführen, so bin ich mir doch
vollständig klar darüber, daß eine weitere Winterkampagne vollständig aus-
geschlossen ist, mit anderen Worten, daß im Spätsommer oder Herbst um
jeden Preis Schluß gemacht werden muß. Die größte Wichtigkeit liegt
zweifellos dabei auf dem Moment, die Friedensverhandlungen in einem
Augenblick zu beginnen, in welchem unsere ersterbende Kraft den Feinden
noch nicht zum vollen Bewußtsein gekommen ist. Treten wir an die Entente
heran in einem Augenblick, in welchem Vorgänge im Innern des Reiches