808 Auhang I. Diplomatische Euthülunzen.
— und hierin gebe ich einen limitierten Erfolg des Unterseebootkrieges zu —
vielleicht wird England in einigen Monaten sich die Rechnung stellen, ob
es klug und vernünftig sei, diesen Krieg à outrance weiterzuführen, oder
ob es nicht staatsmännischer sei, goldene Brücken zu betreten, wenn ihm
dieselben von den Zentralmächten gebaut werden, und daͤnn wäre der Augen-
blick gekommen für weitgehende schmerzliche Opser seitens der Zentralmächte.
Ew. Maj. haben die wiederholten Versuche unserer Feinde, uns von unseren
Bundesgenossen zu trennen, unter meiner verantwortlichen Deckung abgelehnt,
weil Ew. Maj. keiner unehrlichen Handlung fähig sind. Aber Ew. Maj.
haben mich gleichzeitig beauftragt, den verbündeten Staatsmännern des
Deutschen Reiches zu sagen, daß wir am Ende unserer Kräfte sind und daß
Deutschland über den Spätsommer hinaus nicht mehr auf uns wird rechnen
können. Ich habe diese Befehle ausgeführt und die deutschen Staatsmänner
haben mir keinen Zweifel darüber gelassen, daß auch für Deutschland eine
weitere Winterkampagne ein Ding der Unmöglichkeit sei, und in diesem
einzigen Satze liegt eigentlich alles, was ich zu sagen habe: Wir können
noch einige Wochen warten und versuchen, ob sich Möglichkeiten ergeben,
mit Paris oder Petersburg zu sprechen. Gelingt dies nicht, dann müssen
wir noch rechtzeitig unsere letzte Karte ausspielen und jene äußersten Pro-
positionen machen, die ich im Früheren angedeutet habe. Ew. Maj. haben
den Beweis erbracht, daß sie nicht egoistisch denken und den deutschen
Bundesgenossen kein Opfer zumuten, welches Ew. Maj. nicht selbst zu tragen
bereit wären. Mehr kann niemand verlangen. Gott und Ihren Völkern aber
sind es Ew. MajJ schuldig, alles zu versuchen, um die Katastrophe eines Zu-
sammenbruchs der Monarchie zu verhindern; vor Gott und ihren Völkern
haben Ew. Maj. die heilige Pflicht, ihre Völker, das dynastische Prinzip und
ihren Thron zu verteidigen, mit allen Mitteln und bis zu Ihrem letzten
Atemzug. In tiefster Ehrfurcht: Czernin. Wien, 12. Apäil 1917. (Ueber
die Vorgeschichte der Denkschrift s. S. 802.)
In dem weiten Teil seiner Rede beschäftigte sich Graf Czernin u. a.
ausführlich mit den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und Bukarest,
wobei er nachzuweisen sucht, daß er in Brest durch den reichsdeutschen
und in Bukarest durch den ung. Widerstand von seiner Politik der Ver-
ständigung abgedrängt worden sei. Weder in der Räumungsfrage noch in
der des Selbstbestimmungsrechtes sei eine Einigung mit der deutschen Obersten
Heeresleitung zu erreichen gewesen. In der Annexionsfrage habe für den
Fall eines allgemeinen Friedens eine befriedigende Formulierung erzielt
werden können. Wäre damals die Entente zu einem allgemeinen Frieden
bereit gewesen, so wäre das Prinzip „keine Annexionen“ vollkommen durch-
gedrungen. Der Leiter der deutschen Friedensdelegation sei durch äußerst
scharf gehaltene Telegramme der deutschen Heeresleitung darüber belehrt
worden, wie ungehalten sie über seine Erklärungen sei. Die schwierige
Situation Kühlmanns habe die Behandlung der Territorialfragen besonders.
heikel gemacht. Im Jan. 1918 sei in Oesterreich die Ernährungskrise aus-
gebrochen, an die sich eine Streikbewegung bedrohlichen Charakters anschloß.
Dies habe Ziele und Taktik des Ministers verschoben. Er habe von Deutsch-
land Getreideaushilfe erlangen und daher den auf dasselbe auszuübenden
politischen Druck verringern müssen. Cz. bemerkt schließlich, er habe ver-
geblich versucht, gemeinsam mit Deutschland einen Frieden zu erreichen.
Nicht vergeblich sei sein Streben gewesen, den Deutschösterreichern jene
entsetzliche Eventualität zu ersparen, auch noch in einen bewaffneten
Konflikt mit Deutschland zu kommen. Die Extratour Andrassys im
letzten Momente (s. S. 82 ff.) habe auch der weiten Oeffentlichkeit gezeigt,
wie nahe die Gefahr eines Krieges mit Deutschland gewesen. (Den voll-