820 Anhang II. Massträge.
hätte — wenn es die letzte Wahrheit gewesen wäre — in der Tat das
Ende bedeutet. . .. Die vom General Gröner aufgestellten Gesichtspunkte
fanden eine gewisse Stütze in telephonischen Nachrichten aus dem Reichs-
kanzleramt, die während dieser Diskussion mehrfach einliefen, von blutigen
Straßenkämpfen und Abschwenken der Heimattruppe zu den Reihen der
Revolutionäre berichteten und immer wieder die Forderung auf Abdankung
stellten. Trotz alldem war der Kaiser fest bei seiner einmal gefaßten Ent-
schließung geblieben. Aber angesichts des unüberbrückbaren Gegensatzes
zwischen den Beurteilungen der Lage und der notwendigen Folgerungen hatte
er sich endlich zu General Gröner gewendet und mit großer Bestimmtheit
erklärt, daß er sich mit der geäußerten Ansicht des Generals in dieser
ungeheuer schwerwiegenden Frage nicht zufrieden geben könne, daß er viel-
mehr auf einer schriftlichen Meldung durch den Generalfeldmarschall Hinden-
burg und General Gröner bestehen müsse — auf einer Meldung, der das
einzuholende Urteil aller Armeeführer der Westfront zugrunde gelegt werden
solle. Der Gedanke, einen Bürgerkrieg zu führen, stehe für ihn außerhalb
jeder Erwägung; aber seinen Wunsch, das Heer nach Abschluß des Waffen-
stillstandes in geschlossener Ordnung in die Heimat zurückzuführen, halte
er aufrecht. Die Antwort General Gröners hatte sich brüsk abtuend dar-
auf beschränkt, zu erklären: „Das Heer wird unter seinen Führern und
kommandierenden Generalen geschlossen und in Ordnung in die Heimat
zurückmarschieren, aber nicht unter Führung Eurer Majestät!“ „Wie kommen
Sie zu dieser Meldung? Graf Schulenburg meldet das Gegenteil!“ er-
widerte mein Vater erregt. Gröner antwortete nur: „Ich habe andere Nach-
richten.“ Auf den nochmaligen Einspruch meines Chefs hin hatte sich dann end-
lich auch der Generalfeldmarschall entschlossen, aus seiner bisherigen Zurück-
haltung heraus zutreten. Bei aller Zustimmung zu dem Geiste soldatischer
Treue, von dem die Schulenburgschen Gedanken getragen seien, kam er prak-
ctisch zu der Auffassung des Generals Gröner, daß auf Grund der Nachrichten,
die der O. H. L. aus der Heimat und von dem Heere vorliegen, die Revolution
nicht mehr niedergeschlagen werden könne. Der Kaiser hatte endlich die
Aussprache mit der Wiederholung seines Wunsches um Befragung der Ober-
befehlshaber geschlossen: „— melden Sie, daß das Heer nicht mehr zu mir
steht, dann bin ich bereit zu gehen — aber eher nicht!“
Im Anschluß an diese Besprechung und Entschließung, aus der deut-
lich hervorging, im Interesse des deutschen Volkes und zur Erhaltung der
inneren und äußeren Friedensmöglichkeit wäre der Kaiser bereit, sich zum
Opfer zu bringen, hatte mein Chef dann noch besonders darauf hingewiesen,
daß bei allen etwaigen Entschlüssen Seiner Majestät die Fragen betreffend
die Kaiserwürde von jenen, die sich auf den preußischen Königsthron be-
zogen, scharf auseinanderzuhalten seien: Nur um die Abdankung des Kaisers,
nicht um einen Thronverzicht des Königs von Preußen könne und dürfe
es sich im äußersten Falle handeln. Mein Vater hatte ihm darauf versichert,
daß er unter allen Umständen König von Preußen bleiben und als solcher
das Heer nicht verlassen werde. Bei der Aussprache, die nun noch über
die letzten Ausführungen Schulenburgs stattfand, bekannte sich auch der
Generalfeldmarschall zu der Meinung, daß der Kaiser sich als König von
Preußen unter allen Umständen halten müsse, General Gröner aber blieb
dieser Forderung gegenüber skeptisch und ablehnend. Er sprach aus, daß
eine freie Entschließung des Kaisers in diesem Sinne, falls sie vor
Wochen gefallen wäre, eine Umgestaltung der Lage vielleicht bewirkt
hätte — daß sie aber nach seiner Ansicht jetzt zu spät komme, um
gegenüber dem in ganz Deutschland entzündeten Aufruhr, der in jedem
Augenblicke weiter um sich greife, noch von Belang zu sein. Was sich