Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Bie österreichisch-ungarische Monarchie und die Nechfolgestaaten. (Okt. 24. 25.) 81 
brochen werden. Nach Wiedereröffnung der Sitzung erklärt Ministerpräsident 
Dr. Wekerle, daß die Verhältnisse sich immer schwieriger gestalteten, so 
daß eine Zusammenfassung aller nationalen Kräfte erforderlich sei. Er halte 
jedoch den Augenblick nicht für geeignet, in dieser Lage die Regierung 
weiterzuführen. Er werde S. Maj. sein Entlassungsgesuch einreichen und 
vorschlagen, eine solche Regierung zu berufen, die unter Teilnahme sämt- 
licher Parteien des Hauses, möglicherweise auch von außerhalb des Hauses 
stehenden Kräften (Soz.), die Geschäfte übernähme. — Das Entlassungsgesuch 
wird am 24. genehmigt. 
24. Okt. Kaiser Karl nimmt die Demission des Ministers des 
Außern Grafen Burian an und ernennt den Grafen Julius Andrassy 
zum Minister des Außern und betraut ihn mit dem Vorsitz im 
gem. Ministerrat. . 
Der Rücktritt des Grafen Burian war nach dem Fehlschlagen seiner 
parlament. Versuche zur Rettung der Gemeinsamkeit der Außenpolitik (s. S. 80) 
unvermeidlich. Seine Ersetzung durch den Grafen Julius Andrassy (Sohn 
des berühmten Staatsmannes, bereits 1893 ung. Unterrichtsminister, später 
Minister am kgl. Hoflager und Minister des Innern) wird namentlich in 
Ungarn mit Befriedigung aufgenommen, da Graf A. als eine für die 
Friedensverhandlungen geeignetere Persönlichkeit betrachtet wird. 
24. Okt. (Ungarn.) Unabhängigkeitserklärung. 
Halbamtlich wird mitgeteilt, daß der König die Vorschläge des Kabi- 
netts Werkerle, welche die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Landes 
sowohl in den auswärtigen Angelegenheiten wie bezüglich des Heeres und- 
der gesamten wirtschaftlichen Einrichtungen vollkommen sicherstellen, genehmigt 
und zu deren Unterbreitung im Parlament die Ermächtigung erteilt hat. 
25. Okt. (Steiermark.) Bildung eines Wohlfahrtsausschusses. 
Der Statthalter in Steiermark, Graf Clary, demissioniert, die ge- 
samte polilische und wirtschaftliche Verwaltung der Statthalterei wird von 
dem Wirtschaftskommissar übernommen, welcher aus einem bereits seit einigen 
Tagen in Graz bestehenden Wohlfahrtsausschuß nach Beratung einer 
Abordnung dieses Wohlfahrtsausschusses und steirischer Abg. mit dem Minister- 
präsidenten eingesetzt wird. Der Wirtschaftskommissar in Steiermark ist Wutte 
von der deutsch-bürgerlichen Partei, sein Stellvertreter Dr. Eisler (Soz.). 
25. Okt. (Tirol.) Konstituierung der Nationalversammlung. 
In Innsbruck versammeln sich die deutschtirolischen Reichsrats- und 
Landtagsabg., um sich im Sinne der Beschlüsse der deutschösterr. National- 
versammlung als Tirolische Nationalversammlung zu konstituieren. 
Zum Obmanne wird Landeshauptmann Joseph Schraffl und zu dessen 
Stellvertretern Bürgermeister Greil und Dr. Joseph v. Wackernell gewählt. 
Ferner wird als Vollzugsausschuß der Tiroler Nationalrat eingesetzt, 
und zwar mit 20 Mitgliedern, welche nach dem Verhältnisse des Ergeb- 
nisses der Landtagswahlen von 1914 unter die einzelnen Parteien auf- 
zuteilen sind. Der Nationalrat besteht aus dem Landeshauptmanne, den 
dermalen amtierenden sechs Landesausschußmitgliedern, ferner aus je drei 
weiteren Vertretern der christl.-soz., der kons. und der soz. Partei und aus 
vier Vertretern der deutsch-nat. Partei. 
25. Okt. (Ungarn.) Bildung eines ung. Nationalrats. 
In einer Konferenz der Vertreter der Karolhipartei, der Soz. und der 
Radikalen wird die Bildung eines „Ung. Nationalrates“ (Volksrates) 
Europäischer Geschichtskalender. LIX2. 6
	        
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