Bie ssterreichis-ungarische Monarchie und die Aanchfelgestaaten. (Okt. 27.) 85
gramme sind erst durch das DW. über die „Vorgeschichte des Waffenstillstands"
(Nr. 83, 84) bekannt geworden.
Kaiser Karl telegraphierte am 26.: „Teurer Freund! Es ist Meine
Pflicht, Dir, so schwer es Mir auch fällt, zur Kenntnis zu bringen, daß
Mein Volk weder imstande noch willens ist, den Krieg weiter fortzusetzen.
Ich habe nicht das Recht, Mich diesem Willen zu widersetzen, da Ich nicht
mehr die Hoffnung auf einen guten Ausgang hege, für welchen die mora-
lischen und technischen Vorbereitungen fehlen, und da unnützes Blutvergießen
ein Verbrechen wäre, das zu begehen Mir Mein Gewissen verbietet. Die
Ordnung im Innern und das monarchische Prinzip sind in der ernstesten
Gefahr, wenn wir dem Kampf nicht sofort ein Ende bereiten. Selbst die
innigsten bundesbrüderlichen und freundschaftlichen Gefühle müssen vor der
Erwägung zurückstehen, daß Ich den Bestand jener Staaten rette, deren
Geschicke Mir die göttliche Vorsehung anvertraut hat. Deshalb kündige Ich
Dir an, daß Ich den unabänderlichen Entschluß gefaßt habe, innerhalb
24 Stunden um einen Separatfrieden und um einen sofortigen Waffen-
stillstand anzusuchen. Ich kann nicht anders, Mein Gewissen als Herrscher
befiehlt Mir also zu handeln. In treuer Freundschaft Karl."“
Kaiser Wilhelm erwiderte: „Teurer Freund! Die Ankündigung Deiner
Absicht, unsern Gegnern einen Sonderfrieden anzubieten, hat Mich auf das
schmerzlichste überrascht. Du würdest durch Ausführung dieses Gedankens
dem Plan unserer Feinde freie Bahn öffnen, der darauf ausgeht, durch
Trennung unserer Reiche unsere Länder leichter ihrem Willen zu unter-
werfen und ihre antimonarchischen Ziele zu verwirklichen. Einen baldigen
Frieden wünschen unsere Völker und Regierungen. Nach ihm ist Mein
Sinnen ebenso gerichtet wie Deins; ihm zu dienen habe Ich schwere per-
sönliche Opfer gebracht, denn dem Wohl Meines Volkes ordne Ich eigene
Interessen willig unter. Die im Einvernehmen mit Deiner Regierung kürz-
lich eingeleitete Aktion bezweckt die Herbeiführung eines Waffenstillstands
und des demnächstigen Friedens; die Verhandlungen befinden sich im Fluß
und können in wenigen Tagen zu dem Ergebnis führen. Die bisherige
Zusammenarbeit unserer Regierungen, deren Aussichten nicht ungünstig er-
scheinen, würde durch eine Sonderaktion Deiner Regierung im jetzigen
Augenblick auf das Aeußerste gefährdet werden. Schon die Bedingungen
für den Waffenstillstand werden sehr viel schwerer werden, wenn unsere
Gegner erfahren, daß unser Bund gesprengt ist. Das berührt unsere Reiche
in gleicher Weise. Ich bitte Dich daher dringend, von jedem Schritt ab-
zusehen, der den Eindruck erwecken kann, daß wir nicht mehr einig sind.
Je fester wir auch fernerhin zusammenstehen, desto größer sind die Aus-
sichten, daß unsere Gegner, die ebenfalls schwer unter den Lasten und
Schrecken des Krieges leiden, sich zu Friedensbedingungen verstehen, die
mit der Ehre und den Interessen unserer Völker im Einklang sind. Ich
erwarte von Dir, daß Du Deine Regierung sofort veranlassen wirst, nur
im vollen Einvernehmen mit der Meinigen die mit den Ver. St. eingeleiteten
Verhandlungen fortzuführen. In treuer Freundschaft Wilhelm.“
27. Okt. Kabinettswechsel.
Kaiser Karl nimmt die Demission des Ministeriums Hussarek (s. S. 47 f.)
an und ernennt Hofrat Dr. Heinr. Lammasch (Prof. des Straf= und Völker-
rechts an der Univ. Wien, seit langem Anhänger des Verständigungsfriedens)
zum österr. Ministerpräsidenten.
Ferner werden der Minister für soziale Fürsorge Dr. Mataja, Justiz-
minister Dr. v. Schauer, Finanzminister Dr. Frhr. v. Wimmer, Landes-
verteidigungsminister Frhr. v. Czapp und Unterrichtsminister Dr. v. Poray-