Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

92 Hie öferreichischungerische Msnarchie und die Nacfslzestsater. (Dkt. 30.) 
Vereinbarungen mit diesen Staaten zu regeln. Der Vollzugsausschuß schlägt 
vor, alle Streitfragen zwischen dem deutschösterr. Staat einerseits und dem 
tschech. und dem südflaw. Staat andererseits, soweit sie durch freie Ver- 
einbarungen nicht bereinigt werden können, der Entscheidung eines Schieds- 
gerichtes zu unterwerfen, das nach den Bestimmungen der Haager Konferenz 
zusammengesetzt werden soll. Der Vollzugsausschuß bittet den Präsidenten, 
seine Aufmerksamkeit der Frage der deutschen Gebiete der Sudetenländer 
zuzuwenden. Insgesamt wohnen in Böhmen, Mähren und Schlesien nach 
der letzten Volkszählung 3512682 Deutsche. Es ist selbstverständlich, daß 
der neue deutschösterr. Staat auch die deutschen Gebiete Böhmens, Mährens 
und Schlesiens beansprucht. Wir sind überzeugt, daß der Präsident nach 
sorgfältiger Prüfung, den von ihm verkündeten Grundsätzen entsprechend, 
es ablehnen wird, 3½ Mill. Deutsche gegen ihren Willen dem tschech. Staate 
zu unterwerfen. Der dauernde Friede in Europa kann nicht dadurch be- 
gründet werden, daß in dem neuen tschecho-slowak. Staat eine deutsche Ir- 
redenta geschaffen wird. Und eine solche Vergewaltigung der Deutschen 
widerspricht auch den vom Präsidenten aufgestellten Grundsätzen. Wir for- 
dern daher, daß die deutschen Gebiete Böhmens, Mährens und Schlesiens 
als ein Bestandteil des deutschösterr. Staates anerkannt werden und ihre 
künftige staatliche Zugehörigkeit in Gemeinschaft mit ihm frei bestimmen 
sollen. Wir sind bereit, mit der berufenen Vertretung der tschech. Nation 
über die Abgrenzung unserer Gebiete zu verhandeln. Sollte es sich aber 
als unmöglich erweisen, die Grenzen einvernehmlich festzusetzen, so schlagen 
wir vor, daß die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete berufen werden soll, 
selbst durch allgemeine Volksabstimmung zu entscheiden, zu welchem Staate 
sie gehören will. Wir sind einverstanden damit, daß diese Volksabstimmung 
unter der Kontrolle der Nationen von Beamten neutraler Mächte durch- 
geführt wird und daß alle näheren Bedingungen dieser Volksabstimmung, 
vom Friedenskongreß oder von einem Schiedsgerichte so festgesetzt werden, 
daß jede Vergewaltigung der Abstimmenden und jede künstliche Beeinflussung 
des Abstimmungsergebnisses unbedingt vermieden werden können. In ana- 
loger Weise wären diese Grundsätze auch auf die deutschen Siedlungsgebiete 
im Süden und auf die Regelung der staatlichen Grenzen gegenüber Italien 
und dem südflaw. Staat anzuwenden. Unter Hinweis darauf, daß der Prä- 
sident gegen die Regierungen der Mittelmächte, aber nicht gegen das deutsche 
Volk Krieg führt und daß er gleiche Gerechtigkeit für alle Nationen, auch 
für das deutsche Volk, verwirklichen will, wird an ihn appelliert, seine 
Autorität für das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation einzusetzen. 
Die Note schließt: Da wir uns ganz auf den Boden Ihrer Grundsätze 
stellen, wäre jede Verlängerung des Krieges zweckloser Mord an vielen 
Menschen. Wir bitten daher, Ihre Autorität dafür einzusetzen, daß sofortige 
allgemeine Waffenruhe auf allen Fronten eintrete und uns die Möglichkeit 
geboten werde, auf einem allgemeinen Friedenskongresse in direkte Ver- 
handlungen mit allen Nationen einzutreten, aus denen ein Frieden hervor- 
gehen soll, der jeder Nation ihre volle Freiheit gibt und alle Nationen zu 
einem dauernden Friedensbunde vereinigt. Der Vollzugsausschuß der Deut- 
schen Nationalversammlung: Dinghofer, Fink, Seitz. 
Den zweiten Punkt der Tagesordnung bildet die Beschlußfassung über 
die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt; Abg. Dr. Renner 
referiert zunächst über den Verfassungsentwurf und stellt den Antrag, 
daß nach Annahme des Verfassungsentwurfs die Wahl des Vollzugsaus- 
schusses, d. h. des Staatsrates, vorgenommen werde, damit dokumentiert 
werde, daß die Nationalversammlung keinen Augenblick Bedenken habe, die 
Vollmachten, die sie zu übertragen wünscht, gegen jedermann zu behaupten
	        
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