126 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
werden. Sie faßten also die Wiedereroberung der deutschen Westmark
in's Auge und gedachten zugleich den alten jülich-clevischen Erbfolgestreit
gänzlich zum Vortheil Preußens zu beendigen. Der gesunde Kern dieser
Gedanken war unverkennbar, doch wie durfte man hoffen, einen so glän-
zenden Gewinn, die Erwerbung von Posen und der Rheinprovinz zugleich,
anders zu erreichen als durch das Aufgebot aller Kräfte der Monarchie?
Ein häßlicher Anblick, wie nun die begehrlichen Wünsche der beiden Höfe
einander wechselseitig überboten und steigerten. Um nur der polnischen
Entschädigung sicher zu sein, gestattete Preußen, daß Oesterreich sich durch
Baiern vergrößere. Der vberste Grundsatz der fridericianischen Politik,
der so oft mit dem Schwert und der Feder behauptete Entschluß des
großen Königs, dem Hause Oesterreich unter keinen Umständen eine Macht-
erweiterung im Reiche zu gestatten, wurde in kläglicher Schwäche auf-
gegeben — „aus feiger Habgier", wie Friedrich einst auf ähnliche Vor-
schläge geantwortet hatte. Und dabei war man doch der treuen Freund-
schaft des neuen Bundesgenossen keineswegs versichert.
Im Juli 1792 versammelte sich der hohe Adel deutscher Nation zu
Mainz um seinen neuen Kaiser Franz. Es war das Henkermahl des
heiligen Reichs. Noch einmal prunkten durch die engen Gassen des golde-
nen Mainz die Karrossen der geistlichen Kurfürsten, das glänzende Diener-
gefolge von hunderten reichsfreier Fürsten, Grafen und Herren, die ganze
Herrlichkeit der guten alten Zeit — zum letzten male bevor das neue
Jahrhundert den Urväterhausrath der rheinischen Bischofsmützen und
Fürstenkronen mit ehernen Sohlen zermalmte. Während dieser rauschen-
den Feste verhandelten die beiden Großmächte insgeheim über den Sieges-
preis. Das Schicksal Baierns schien entschieden; Preußen gab seinen
alten Schützling, das Haus Wittelsbach völlig preis, und bei der mili-
tärischen Schwäche der süddeutschen Staaten unterlag es keinem Zweifel,
daß Oesterreich den bairisch-belgischen Tausch sogleich erzwingen konnte.
Da traten die kaiserlichen Unterhändler mit der Erklärung hervor, ihr
Herr verlange nicht bloß Baiern, sondern auch das soeben durch Preußen
rechtmäßig erworbene Ansbach-Bayreuth; kein Zweifel mehr, die Hofburg
trachtete nach der Theilung Deutschlands, nach der Unterwerfung des
ganzen Südens. Die Minister in Berlin fühlten sich „wahrhaft empört",
der König empfand den Anschlag wider seine fränkischen Stammlande als
eine persönliche Beleidigung. Auch über die polnische Frage kam eine
klare Verständigung nicht zu Stande. Obgleich Oesterreich einer Gebiets-
erweiterung Preußens im Osten nicht geradezu widersprach, so fühlten
doch beide Theile, daß ihre Ansichten über Polens Zukunft weit ausein-
andergingen; der Berliner Hof hatte sich endlich überzeugt, daß die von
Wien her begünstigte polnische Maiverfassung dem preußischen Interesse
schnurstracks zuwiderlief.
Verstimmt, grollend, ohne jede feste Verabredung über das Ziel des