Erste Erfolge der Franzosen. 129
Und noch waren die Ueberraschungen dieses wilden Jahres 92 nicht
zu Ende; es schien, als wollte das unerforschliche Schicksal die Thorheit
aller menschlichen Voraussicht erweisen. Ein französisches Freicorps unter
unfähigem Führer drang in einem tollen Abenteurerzuge an der Flanke
des preußischen Heeres vorbei bis gegen Mainz; die erste Festung Deutsch-
lands öffnete ohne Widerstand ihre Thore. Die Herrlichkeit der rheinischen
Kleinstaaterei brach wie ein Kartenhaus zusammen; Fürsten und Bischöfe
stoben in wilder Flucht auseinander. Pfalzbaiern erklärte sich neutral,
nach der alten landesverrätherischen Gewohnheit des Hauses Wittelsbach;
das heilige Reich spürte den Anfang des Endes. Das willenlose Volk
der geistlichen Lande ließ sich von einer Handvoll lärmender Feuerköpfe
das Possenspiel einer rheinischen Republik vorführen, sprach in ehrfürchtiger
Schen alle Kraftworte der Pariser Völkerbeglücker nach, obgleich „das
Phlegma, das uns die Natur auferlegt hat, uns nur erlaubt die Fran-
zosen zu bewundern“; an dem Anblick dieses Zerrbildes der Freiheit ist
dem geistreichsten der rheinischen Enthusiasten, Georg Forster, das unstete
Herz gebrochen. Währenddem sielen auch Savoyen und Belgien, schlecht
vertheidigt, den schlechten Truppen der Republik in die Hände. Wunder-
bare, strahlende Erfolge, die selbst ein nüchternes Volk berauschen konnten!
Ein maßloses Selbstgefühl schwellte den Führern der neuen Republik die
Seele; sie boten allen Völkern, die sich für die Freiheit erheben wollten,
den Beistand Frankreichs an. Der Kampf der revolutionären Propaganda
ward feierlich verkündigt: Krieg den Palästen, Friede den Hütten! In
dieser fanatischen Siegeszuversicht lag eine unermeßliche sittliche Kraft.
Auch die militärische Macht der Republik war im Erstarken, obgleich noch
Alles in ihrem Heerwesen wüst und wirr durcheinander gährte. Den
ungeheuren Massen, welche der Convent in's Feld führte, konnte die me-
thodische Kriegführung der fridericianischen Generale wohl auf dem
Schlachtfelde den Sieg entreißen, doch eine solche Volkserhebung völlig
niederzuwerfen war für die kleinen Heere der alten Zeit unmöglich.
Unter den Freiwilligen von 1792 fand sich eine Fülle junger Talente,
ein großer Theil der Marschälle und Generale des Kaiserreichs; die neue
Gleichheit bot allen aufstrebenden Köpfen freie Bahn, der Schrecken der
Guillotine spornte Jeden das Höchste zu wagen.
Also kündigte sich hier eine neue Kriegsweise an und eine neue Staats-
kunst, welche die Ländergier der alten Cabinetspolitik mit einer unerhörten
Mißachtung aller überlieferten Formen des Völkerrechts verband. Sollte
das Reich dem Angriff dieser unberechenbaren jugendlichen Macht wider-
stehen, so mußten vor Allem die Rheinlande eine neue kräftigere politische
Ordnung erhalten und zum Widerstande befähigt werden. Durch die
Schuld der kleinen Höfe war das feste Mainz in die Hände Custine's
gefallen, und auch nach der Niederlage wußten sie dem bedrängten Vater-
lande nichts zu bieten als jammernde Klagen und Rechtsverwahrungen
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1. 9