Ausgang Friedrich Wilhelm's II. 145
starrung, welche während des folgenden Jahrzehntes Verwaltung und
Heerwesen lähmte. Die Kräfte des deutschen Beamtenthums genügten
kaum, um diesen halbbarbarischen Landen, die für die altpreußische Ver—
waltung noch nicht reif waren, die Anfänge gesitteten Menschenlebens zu
sichern. Wie durfte man vollends an Reformen denken? an die Ein—
führung der Selbstverwaltung, die in zwei Fünfteln der Monarchie nur
der Tyrannei des polnischen Junkerthums zu gute gekommen wäre? oder
an die Bildung eines rein nationalen Heeres, das unter zehn Soldaten
je vier Polen gezählt hätte?
Während der Staat früherhin mit heilsamer Strenge alle seine In—
stitutionen und namentlich die Steuerverfassung sofort in seinen neu—
erworbenen Provinzen eingeführt hatte, waltete jetzt am Hofe eine nach—
sichtige Milde, die nur allzugeneigt war jeden Herzenswunsch der neuen
Landeskinder zu erhören, jede berechtigte und unberechtigte Eigenthümlichkeit
zu schonen. Man gab den neuen Provinzen, statt sie in die Organisation
der alten Behörden einfach einzufügen, eine provisorische Verwaltung; in
Franken regierte Hardenberg, in Südpreußen Graf Hoym mit der Macht-
vollkommenheit eines Vicekönigs. Die alten Abgaben blieben erhalten,
selbst an dem verworrenen und verderbten polnischen Steuerwesen wurden
nur einzelne schreiende Mißstände beseitigt, und so geschah das Unerhörte,
daß die weiten polnischen Gebiete zu den Ausgaben des Gesammtstaates
nur eine winzige Summe, kaum 200,000 Thaler, beisteuerten, während
das reiche Franken sogar einen jährlichen Zuschuß beanspruchte. Es war,
als ob der erschlaffte Staat sich's nicht mehr zutraute seine neuen Er-
werbungen mit seinem Geiste zu erfüllen; der alte mannhafte Grundsatz
der rücksichtslosen Anspannung aller Kräfte erschien der weichlichen Philan--
thropie des Zeitalters grausam. Zudem bot die Einziehung der Starosten-
und Kirchengüter in Polen der Großmuth des Königs eine unwidersteh-
liche Versuchung; er verschenkte einen großen Theil dieser Latifundien nach
Gunst und Laune, statt sie zu zerschlagen und unter deutsche Einwanderer
zu vertheilen. Der gierige Wettbewerb um die südpreußischen Krongüter
schädigte die ohnehin gelockerte Zucht des Beamtenthums schwer; der pol-
nische Bauer vergaß den Dank für die Wohlthaten der preußischen Ver-
waltung, wenn er die vielen schimpflich erworbenen Vermögen der neuen
Herren betrachtete.
Von allen Unterlassungssünden dieser müden Jahre war keine so
verderblich wie die Vernachlässigung des Heerwesens. Die Gutmüthigkeit
des Königs, die falsche Sparsamkeit einer schlaffen Friedenspolitik und
das stille Mißtrauen gegen die Treue der polnischen Soldaten bewirkten,
daß die nothwendige Verstärkung der Armee unterblieb. Während die
Bevölkerung sich fast verdoppelte, wurden die Truppen nur um etwa
35,000 Mann vermehrt, die Ausgaben für das Heerwesen stiegen seit
Friedrich's Tode von 11—12 auf etwa 14 Millionen Thaler. Indessen
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. 1. 10