Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

242 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
seinem preußischen Verbündeten den Besitz von Hannover gewährleistet; 
nun erfuhr man plötzlich in Berlin, daß der Imperator, der den Sommer 
über eine große Friedensverhandlung mit England und Rußland führte, 
sich unbedenklich erboten habe den Welfen ihr Stammland wieder aus- 
zuliefern. Auf diese Nachricht schrieb Friedrich Wilhelm sofort (9. August) 
an den Czaren: „wenn Napoleon mit London über Hannover verhandelt, 
so will er mich verderben.“ Der König sah voraus, daß binnen Kurzem 
der unwürdige Zustand vom Februar sich erneuern mußte, daß Preußen 
nur noch die Wahl hatte abermals eine schimpfliche Beraubung schweigend 
zu ertragen oder den Einbruch der großen Armee mit den Waffen abzu- 
weisen. Darum wurde das preußische Heer auf Kriegsfuß gesetzt und im 
Magdeburgischen versammelt. Mit diesem Schritte berechtigter Nothwehr 
war der Krieg entschieden. Denn obwohl Frankreichs Verhandlungen mit 
England sich zerschlugen und der geplante Handel mit Hannover vorläufig 
nicht zu Stande kam, so stand doch, nach den geheimen Umtrieben der 
französischen Diplomatie in Dresden und Cassel, mit voller Sicherheit zu 
erwarten, daß Napoleon freudig den bequemen Anlaß benutzen werde, um 
den einzigen Staat niederzuwerfen, der noch die Ausbreitung des Rhein- 
bundes über das gesammte Deutschland verhinderte. Der König mußte 
gewärtig sein, daß in den nächsten Tagen schon Frankreich drohend die Ab- 
rüstung des preußischen Heeres und die Auflösung des werdenden Nord- 
deutschen Bundes forderte. Mit vollem Rechte schrieb er seinem russischen 
Freunde: der Friede sei nur noch unter zwei Bedingungen möglich, wenn 
Napoleon seine Truppen aus Deutschland zurückziehe und sich verpflichte, 
dem Norddeutschen Bunde nichts mehr in den Weg zu legen; es bleibe nichts 
mehr übrig als der Krieg, denn wer könne diesem Manne Gesetze vorschreiben? 
Wenn der Imperator gleichwohl mit seinen letzten Forderungen nicht 
sofort heraustrat, so geschah es nur, weil er vorerst den Erfolg der mit 
Rußland eingeleiteten Friedensverhandlungen abwarten wollte. Mit voll- 
endeter Umsicht, jeden Schritt berechnend, betrieb er seit Monaten die 
diplomatischen und militärischen Vorbereitungen für den preußischen Krieg; 
keinen andern seiner Eroberungszüge hatte er je so behutsam eingeleitet, 
denn er dachte noch immer hoch von dem fridericianischen Heere. Es 
gelang ihm, den Gegner von den anderen Großmächten fast völlig zu 
trennen, und er hielt sein Spiel so wohl verdeckt, daß Mit= und Nach- 
welt ihm die Lüge glaubte, dieser dem preußischen Staate aufgezwungene 
Vertheidigungskrieg sei durch einen verzweifelten Entschluß des Königs 
muthwillig vom Zaune gebrochen worden. Das Märchen fand in Preußen 
selbst Anklang, da nach dem unheilvollen Verlaufe des Waffenganges 
Jedermann die Politik von 1806 verwünschte. 
Durch die Abtretung Hannovers hatte Napoleon den preußischen Hof 
mit England verfeindet; nun beredete er den russischen Bevollmächtigten 
Oubril zum Abschluß eines Sonderfriedens. Versagte der Czar dem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.