254 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
den Gang unserer Geschichte im neunzehnten Jahrhundert bestimmt hat:
die Versöhnung des preußischen Staates mit der Freiheit deutscher Bil-
dung. Während in den alten Soldatengeschlechtern ingrimmige Erbitte-
rung gegen die Fremdherrschaft vorherrschte, mancher tapfere Mann aus
diesen Kreisen dem Könige freiwillig seine Dienste anbot, ging auch Fichte
von freien Stücken nach Königsberg, weil er sein Haupt nicht unter das
Joch des Treibers biegen wollte. Um Schleiermacher aber sammelte sich
schon in der Stille ein Kreis warmherziger Patrioten. Der treue Mann
sah aus dem tiefen Falle die „Regeneration Deutschlands“ emporsteigen;
er wollte dabei sein mit Wort und Schrift und jetzt am wenigsten seinen
König verlassen: „eine freie Rede ist für Napoleon das schärfste Gift;“
keinen Augenblick glaubte er an die Dauer der französischen Triumphe,
denn dieser Sieger „hat zu wenig den Sinn eines Königs“.
Völlig überwältigt von der unerwarteten Niederlage hatte König
Friedrich Wilhelm sogleich nach der Schlacht unter demüthigenden Be-
dingungen den Frieden angeboten. Es waren die häßlichsten Tage seines
Lebens; einige seiner Räthe empfahlen schon den Eintritt Preußens in
den Rheinbund. Erst der Uebermuth des Siegers gab dem unglücklichen
Fürsten das Bewußtsein seiner königlichen Pflichten wieder. Napoleon
steigerte seine Forderungen im Verlaufe der Unterhandlungen, verlangte
außer der Abtretung aller Lande links der Elbe auch noch, daß Preußen
von dem russischen Bündniß zurücktrete. Da erwachte der Stolz des
Königs; sein Gewissen konnte sich nicht entschließen, dasselbe zu thun, was
Kaiser Franz vor einem Jahre in ungleich günstigerer Lage unbedenklich
gethan, und den Bundesgenossen zu verlassen, den er soeben selbst um
Hilfe gebeten hatte. Als am 21. November im Hauptquartier zu Osterode
Rath gehalten wurde über die Annahme des Waffenstillstandes, welchen
Lucchesini und Zastrow kleinmüthig unterschrieben hatten, da kam der
Augenblick, der die Männer von den Buben und den Klüglingen schied.
Nicht bloß Stein, der die Kassen des Staates, die Mittel zur Fortsetzung
des Krieges, nach Ostpreußen gerettet hatte, stimmte für die Verwerfung
des Vertrages, sondern auch sein politischer Gegner, der hochconservative
Graf Voß, einer der Führer des märkischen Adels. Der König entschied
in ihrem Sinne, nahm die Waffen wieder auf hier in der entlegenen
Ostmark des Reichs, dem letzten Bollwerk deutscher Freiheit. Gleich dar-
auf erhielt Haugwitz seine Entlassung. Von jenem Tage an hat der
vielverkannte Monarch, wie oft er auch im Einzelnen irrte und schwankte,
doch unverbrüchlich durch sechs entsetzliche Jahre den Gedanken festgehalten:
kein ehrlicher Friede mit Frankreich als nach der Wiederherstellung des
alten Preußens. So begann der Feldzug in Ostpreußen, der erste, während
dessen die Sonne des Glücks dem Imperator nicht ungetrübt leuchtete, der
erste, der dem verzweifelnden Welttheil wieder die Ahnung erweckte, daß
auch dieser Allgewaltige nicht unüberwindlich sei.