Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Friede von Tilsit. 265 
Werk zu setzen; Alexander aber wollte den letzten schmalen Damm, der 
das russische Reich noch von den französischen Vasallenlanden trennte, 
nicht gänzlich niederreißen lassen und verhehlte sein Mißtrauen nicht, als 
Napoleon vorschlug, auch Schlesien und Ostpreußen von der preußischen 
Monarchie abzutreten. Preußen behielt von den 5700 Geviertmeilen, 
welche der Staat, Hannover ungerechnet, vor dem Kriege besaß, nur 
etwa 2800, von seinen dreiundzwanzig Kriegs- und Domänenkammern 
nur die acht größten, von 9¾ Millionen Einwohnern nur 4¼. Millionen. 
Das Werk Friedrich's des Großen schien vernichtet. Der Staat war nur 
noch wenig umfangreicher als im Jahre 1740 und weit ungünstiger ge- 
stellt; zurückgedrängt auf das rechte Elbufer, aller seiner Außenposten im 
Westen beraubt stand er unter der Spitze des französischen Schwertes. Seine 
geretteten Provinzen, Schlesien, das verkleinerte Altpreußen, die noch übrigen 
Stücke von Brandenburg und Pommern, lagen wie die drei Blätter 
eines Kleeblattes durch schmale Streifen verbunden; jeden Augenblick konnten, 
auf einen Wink des Imperators, die Polen vom Osten, die Sachsen 
vom Süden her, die Westphalen aus Magdeburg, die Franzosen aus 
Mecklenburg und Hamburg gleichzeitig gegen Berlin vorbrechen und das 
Netz über dem Haupte der Hohenzollern zusammenziehen. 
Die gesammten polnischen Provinzen der Monarchie wurden, mit 
Ausnahme eines Theils von Westpreußen, dem Könige von Sachsen zu- 
getheilt, der den Namen eines Herzogs von Warschau annahm. Diese 
vierte Theilung Polens stellte also die verderbliche sächsisch-polnische Union 
wieder her, und zugleich gewann das Haus Wettin eine Etappenstraße 
durch Schlesien, die von den polnischen Augusten so oft erstrebte Via regia. 
Das neue Herzogthum bildete sich nach französischem Muster rasch eine 
tüchtige Armee, wie sie die alte Adelsrepublik nie gekannt. Der Deutschen- 
haß des sarmatischen Adels schaltete zügellos unter der weichen Herrschaft 
des ängstlichen Wettiners, der den stolzen Königswählern nichts wehren 
mochte und jagte sofort alle deutschen Beamten aus dem Lande, gegen 
die ausdrückliche Vorschrift des Tilsiter Friedens aber mit der geheimen 
Zustimmung des französischen Schutzherrn. Um dem polnischen Fanatis= 
mus einen Rückhalt zu sichern, erhob Napoleon die Festung Danzig zu 
einer freien Stadt mit starker französischer Besatzung. Und um den 
Czaren für immer mit seinen preußischen Freunden zu entzweien beredete er 
ihn sich auf Kosten seines unglücklichen Bundesgenossen zu bereichern und 
den Bezirk von Bialystock mit dem russischen Reiche zu vereinigen. Ge- 
fügig wie Friedrich August von Sachsen ging Alexander auf die häßliche 
Zumuthung ein; sein Gewissen tröstete sich mit der Erwägung, sonst wäre 
der Landstrich doch mit Warschau verbunden worden. Aus den preußischen 
Landen links der Elbe, aus den welfischen und kurhessischen Gebieten 
wurde ein Königreich Westphalen gebildet und dem Bruder des Impera- 
tors Hieronymus übergeben mit der strengen Weisung, daß er den Ge-
	        
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