Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

268 J. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
des Friedens noch immer nicht erkauft war. Der preußische Bevollmäch— 
tigte, Feldmarschall Kalckreuth, ein warmer Verehrer Napoleon's, hatte die 
Tilsiter Verhandlungen mit einem vertrauensvollen Leichtsinn geführt, der 
alle militärischen Verdienste des Vertheidigers von Danzig in Schatten 
stellte und von dem Staate hart gebüßt werden mußte. Die Räumung 
des Landes und der Festungen sollte zwar bis zum 1. October erfolgen, 
doch nur wenn zuvor die gesammte Kriegsschuld abgezahlt sei; und da 
über den Betrag dieser Summe gar nichts Bestimmtes ausbedungen war, 
so blieb nach wie vor fast das gesammte preußische Gebiet durch Napoleon's 
Heer besetzt. Also gewann der Imperator freie Hand für seine iberischen 
Pläne, da die große Armee in Preußen die beiden Kaisermächte des 
Ostens in Ruhe hielt, und verschaffte sich zugleich durch die preußischen 
Contributionen die Geldmittel für den spanischen Krieg. 
Entwaffnet, geknebelt, verstümmelt lag die preußische Monarchie zu 
Napoleon's Füßen; mit vollendeter Schlauheit hatte er Alles vorbereitet 
um sie zur gelegenen Stunde gänzlich zu vernichten. Nur Eines entging 
dem Scharfblick des Verächters der Ideen: daß dieser Staat an innerer 
Einheit und sittlicher Spannkraft gewann was er an äußerer Macht ver— 
lor. Der ungetreuen Polen war er ledig; die alten deutschen Stamm— 
lande, die ihm blieben, hielten zusammen wie ein Mann. Von diesen 
Adlerlanden war einst der Siegeszug des großen Kurfürsten, der ver— 
wegene Versuch der neuen deutschen Staatenbildung ausgegangen; auf 
ihnen lag jetzt wieder Deutschlands ganze Zukunft. Sie allein unter 
allen rein-deutschen Landen blieben dem Rheinbunde fern. Vor der letzten 
Schmach der freiwilligen Knechtschaft hatte Friedrich Wilhelm's ehrenhafter 
Sinn seine Preußen bewahrt. Die schwere Schuld der letzten Jahre war 
nicht nur gebüßt, sie war auch erkannt; noch in Tilsit entschloß sich der 
König, auf Hardenberg's Rath, den Freiherrn vom Stein mit der Neu— 
bildung der Verwaltung zu beauftragen. Was nur ein starkes Volk zu 
verzweifelten Entschlüssen entflammen kann, Stolz und Haß, Schmerz 
und Reue gährte in tausend tapferen Gemüthern, jede neue Unbill der 
fremden Peiniger steigerte die Erbitterung, bis endlich Alles was preu— 
ßisch war sich vereinigte in dem leidenschaftlichen Verlangen nach Ver— 
geltung. Wenn es gelang, die schwere Kraft dieses zornigen Volkes zu 
sammeln und zu ordnen, seinen Staat zu verjüngen durch den Idealis— 
mus der neuen Bildung, so war Deutschlands Rettung noch möglich. 
Schon während des Krieges schrieb ein geistvoller Franzose, der in der 
deutschen Wissenschaft eine neue Heimath gefunden hatte, Karl von Villers, 
ahnungsvoll: „Die französischen Heere haben die deutschen geschlagen, weil 
sie stärker sind; aus demselben Grunde wird der deutsche Geist schließlich 
den französischen Geist besiegen. Ich glaube schon einige Anzeichen dieses 
Ausganges zu sehen. Die Vorsehung hat ihre eigenen Wege.“ — 
 
	        
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