Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

276 I. 3. Preußens Erhebung. 
Nach seinem vergeblichen Kampfe gegen die Cabinetsregierung und 
seiner schnöden Entlassung hatte Stein still in Nassau gelebt und dort 
schon in einer umfassenden Denkschrift einige Umrisse für die Neugestal- 
tung des Staates aufgezeichnet. Da traf ihn die Kunde von dem un- 
seligen Frieden und warf den Heißblütigen auf das Krankenbette. Bald 
darauf kam die Aufforderung zur Rückkehr. Er nahm an; jede Kränkung 
war vergessen; nach drei Tagen wurde sein Wille des Fiebers Herr. Am 
30. September 1807 traf er in Memel ein, und der König legte ver- 
trauensvoll die Leitung des gesammten Staatswesens in die Hände des 
Ministers. Welch eine Lagel An seinem letzten Geburtstage hatte Friedrich 
Wilhelm, da die Räumung des Landes gar nicht beginnen wollte, in einem 
eigenhändigen Briefe dem Imperator geradezu die Frage gestellt, ob er 
Preußen zu vernichten beabsichtige. Napoleon blieb stumm, die Thaten 
gaben die Antwort. Mitten im Frieden standen 160,000 Franzosen in 
den Festungen und in großen Lagern, über das ganze Staatsgebiet ver- 
theilt, allein Ostpreußen ausgenommen. Der Kern der alten preußischen 
Armee, mehr als 15,000 Mann, lag noch kriegsgefangen bei Nancy, und 
woher sollte die ausgeplünderte Monarchie die Mittel nehmen für die 
Bildung eines neuen Heeres? An verfügbarem jährlichem Einkommen ver- 
blieben dem Staate noch 13⅛½ Mill. Thlr., kaum zwei Drittel seiner 
früheren Einnahmen. Ueberall wo Napoleon's Truppen standen wurden 
die Staatseinkünfte, als ob der Krieg noch fortwährte, für Frankreich in 
Beschlag genommen, so daß der König nahezu nichts erhielt, hunderte 
der auf halben Sold entlassenen Offiziere unbezahlt darben mußten. Die 
einst vielbeneidete Seehandlung hatte, wie die Bank, ihre Zahlungen ein- 
gestellt; ihre Obligationen sanken im Curse bis auf 25. Die Tresorscheine 
fielen bis auf 27, da an die Einlösung nicht mehr zu denken war und die 
französischen Behörden das Papiergeld zu Wuchergeschäften mißbrauchten. 
Massen entwertheter Scheidemünzen strömten aus den abgetretenen Pro- 
vinzen in das Land zurück, und die Franzosen ließen um das Unheil zu 
vermehren in der Berliner Münze noch für 3 Mill. Thlr. neues Kleingeld 
prägen. Der Staatscredit war so gänzlich vernichtet, daß eine Prämien- 
anleihe von einer Million, in kleinen Scheinen zu 25 Thlr. ausgegeben, 
nach drei Jahren noch immer nicht vergriffen war. In der diplomatischen 
Welt galt Preußen kaum noch so viel wie eines der Königreiche des Rhein- 
bundes; der holländische Gesandte, ein französischer Consul und ein öster- 
reichischer Geschäftsträger bildeten im Jahre 1808 die gesammte Vertretung 
des Auslandes am Königsberger Hofe. Die französische Militärverwaltung 
unter Daru's brutaler Leitung hauste im Frieden ärger als im Kriege und 
jeder ihrer Uebergriffe erfolgte auf Napoleon's ausdrücklichen Befehl: eine 
Contribution drängte die andere, und monatelang blieb es ein tiefes Ge- 
heimniß, wie viel der unersättliche Feind noch von dem erschöpften Lande 
fordern wolle. In Ost= und Westpreußen wurde zur Abtragung der Kriegs-
	        
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