390 I. 3. Preußens Erhebung.
noch ein willenloser Trümmerhaufen, zählte gar nicht mehr mit in der
Reihe der Mächte.
So stand man denn abermals allein. Eine Kriegserklärung in sol-
cher Lage mußte den Staat vernichten bevor noch ein russischer Säbel
aus der Scheide fuhr. Was Wunder, daß nach Alledem im Januar
1812 die französische Partei am preußischen Hofe sich wieder hervorwagte.
Ihr Wortführer war Ancillon — der Hofpfaffe, wie Gneisenau ihn
nannte — ein unterthäniger, seichter Schönredner, feigherzig von Natur,
immer zum kleinmüthigsten Entschlusse geneigt. Der führte mit seiner
widerlichen theologischen Salbung in breiter Denkschrift aus, daß Napo-
leon freundliche Absichten gegen die preußische Monarchie hege, denn sonst
hätte er sie längst zerstört, und rieth dringend zum Anschluß an Frank-
reich. Der König dachte anders. Nicht einen Augenblick glaubte er an
die Großmuth des Imperators; hatte er doch aus dem Schicksal des
Oldenburger Herzogs soeben gelernt, daß selbst ein Bündniß keine Sicher-
heit bot gegen die Gewaltschläge dieses Freundes. Aber er sah die Lage
wie sie war: begann man den Krieg für Rußland und doch ohne russi-
sche Hilfe, so opferte man sich unfehlbar und völlig nutzlos; schloß man
sich dem Verhaßten an, so wurde dem Staate freilich nur für ein Jahr
das Dasein gefristet, jedoch ein Jahr war viel in so wilder Zeit, und
vielleicht zeigte sich dann noch irgend ein anderer Weg der Rettung. Er-
schüttert, verzweifelt stand der unglückliche Fürst zwischen seinen theuersten
Neigungen und dem Staatsinteresse. Noch einmal versuchte er einen
Ausweg. Oberst Knesebeck, ein erklärter Anhänger der Friedenspartei,
wurde nach Petersburg geschickt um den Czaren zu beschwören, daß er
einen Unterhändler nach Paris sende, diesen für Preußen auf jeden Fall
verderblichen Krieg abzuwenden suche; komme es zum Schlagen, so sei
der König nicht in der Lage, sich dem französischen Bündniß zu entziehen.
Auch dieser letzte Versuch rathloser Verlegenheit schlug fehl. Alexander
konnte nur erwidern: er wünsche den Frieden so aufrichtig wie der König;
doch im Nothfalle wolle er sich tapfer vertheidigen „gegen einen zugleich
ungerechten und grundlosen, nur durch den unersättlichen Ehrgeiz Napo-
leon's herbeigeführten Angriff.“) Nunmehr war die Allianz mit Na-
poleon unvermeidlich.
Der Imperator hatte unterdessen seinen Beschluß gefaßt. Um den
russischen Krieg ohne Aufenthalt sogleich am Niemen eröffnen zu können
hielt er es doch für gerathen sich vorläufig mit der friedlichen Unterwerfung
Preußens zu begnügen. Die preußischen Rüstungen waren, auf seine
Drohung, schon im Herbst theilweise eingestellt worden; jetzt hatte er an
300,000 Mann dicht an den Grenzen des Staates stehen. Noch bevor
die Verhandlung zum Abschluß kam streiften französische Truppen von
Magdeburg und Schwedig-Pommern aus in das preußische Gebiet hin-
*) Kaiser Alexander an König Friedrich Wilhelm, 22. Febr. 1812.